logo

Vertonung eines Filmklassikers

«Wir haben den Film gefühlt tausendmal gesehen»

«Nosferatu» der Filmklassiker ist bereits über 100 Jahre alt. Der bekannte Stummfilm wird neu von zwei Musikerinnen aus Altstätten mit Livemusik auf Bühnen vertont und soll gleichzeitig auch in unsere Kinos kommen.

Nadine Linder am 12. März 2022

Er gehört zu den bekanntesten Filmen der Geschichte «Nosferatu». Der Stummfilm ist bereits über 100 Jahre alt und zwei Musiker aus Altstätten haben den Klassiker mit ihrer Musik vertont. Irina Maria Garbini und Dany Kuhn verbrachten sehr viel Zeit im Studio und untermalen den Stummfilm mit ihren Kompositionen. Das Ziel dabei ist, den Film in diesem Jahr in die Kinos zu bringen und ihm gleichzeitig auch auf Bühnen mit Live-Vertonung zu spielen. Unsere. Kulturredaktorin Nadine Linder hat mit den beiden Musikern aus Altstätten im St.Galler Rheintal über ihre spezielle Idee und ihr Werk gesprochen.

Irina Maria Garbini und Dany Kuhn, wie würden Sie den Filmklassiker «Nosferatu» jemandem beschreiben, der noch nie davon gehört hat?

Nosferatu stellt ein Wesen dar, das «unsterblich» verliebt ist. Was Nosferatu am Leben hält, ist das Blut von Menschen. Das Blut als Elixier des Lebens. Dieses untote Wesen will in Wisborg ein Haus kaufen, und wird betrogen. Nosferatu, auch Graf Orlok genannt, hat es auf eine bestimmte weibliche Person abgesehen, in die er verliebt ist und will ihr Blut. Auch sie, Ellen fühlt sich sehr mit diesem Wesen verbunden. Mit Gegensätzen von Angst und sich hingezogen fühlen, ergibt sie sich schlussendlich diesem Wesen. Ihr Mann, Hutter, spielt dabei eine wesentliche Rolle, da er als Schlüsselfigur durch seine Neugier, und die Verführung durch Macht und Geld, zu Nosferatu findet. Graf Orlok kommt nach Wisborg und bringt die Pest mit. Die Bewohner sterben reihenweise, und nur das Opfer von Ellen, die sich ihm hingibt, erlöst das ganze Städtchen.

Der Film ist 100 Jahre alt, was macht ihn so zeitlos?

Das Zeitlose dieses 100-jährigen Films liegt hier: Menschen rennen sehenden Auges ins Unglück, getrieben vom Wunsch, ein gutes Geschäft zu machen; Warnsignale werden ignoriert; Schuldige sind schnell gefunden, und Angst lähmt eine ganze Stadt; eine Epidemie, die Körper und Seele erfasst und Menschen sich zurückziehen lässt. Das alles nähme ein übles Ende, wäre da nicht ein gutes, reines Herz. Die unscheinbare Heldin in düsteren Zeiten.

Das Thema, dass ein Wesen den Tod in Form einer Epidemie in eine Stadt bringt, und sich nur durch die Hingabe einer Frau stoppen lässt, erinnert an die letzten zwei Jahre, dem unsichtbaren Virus. Doch am Ende wollen wir alle nur Liebe, selbst Graf Orlok.

Die schauspielerischen Leistungen sind überwältigend. Die Figuren im Stummfilm arbeiten nur mit ihrer Mimik. Man braucht etwas Zeit, um sich in sie einzufühlen, doch dann ist der Film ein grossartiges Erlebnis. Da Musik wesentlich dazu beiträgt Emotionen und Gefühle zu transportieren, war es uns wichtig, durch die Modernisierung und Neuvertonung mit unseren Kompositionen ein musikalisches Gleichgewicht zwischen Dunkel und Hell zu erzeugen. In die düstersten Winkel kriechend, hoffnungsvoll aufsteigend, gequält ausharrend und frohlockend. Farben werden gehört und Töne gesehen. Wir haben dem Film eine kontemporäre Musikinterpretation an die Seite gestellt, die getragen wird von Stimme und Instrumentierung.

Wie kamen Sie auf die Idee, den Stummfilm zu vertonen?

Eigentlich wie die Jungfrau Maria zum Kind. Wir wurden sehr spontan und sehr kurzfristig angefragt, ob wir für eine Finissage einer Ausstellung, die von Nosferatu handelte, und an der der Film gezeigt wurde, diesen live vertonen würden. Das war eine grosse Freude und eine Challenge, die wir angenommen haben. Wir haben Ideen gesammelt, und das Projekt dann live präsentiert. Es war ein voller Erfolg, und wir hatten zum Glück eine Aufnahme davon. Und ja, ab hier wollten wir mehr! Eine Woche darauf, haben wir es nochmals aufgeführt, und wieder aufgenommen, und eine «Rohfassung» für uns erstellt. Daraus haben wir dann im Studio die Ideen zu Kompositionen, die genau auf den Film abgestimmt sind, umgearbeitet. Die letzten zwei Jahre haben uns auch die notwendige Zeit dazu verschafft.

Wie vertont man einen Stummfilm mit Musik?

Zuerst muss man sich natürlich den Film genau ansehen! Sich Gedanken machen, wie die Bilder «klingen» könnten. Instrumente zuweisen (Graf Orlok wird zur Kirchenorgel!). Musikalische Ideen erarbeiten. Komponieren. Dann im Studio den Film laufen lassen, und gleichzeitig dazu aufnehmen. Eine Knochen- und Geduldsarbeit, denn wir mussten auch mit der Musik die Schnitte treffen. Das war gar nicht so einfach. Wir mussten die Kompositionen, die aus den Improvisationen entstanden sind, einerseits nachspielen und doch neue Melodien und Harmonien entstehen lassen, da wir jeweils zum laufenden Film einspielten. Die Kompositionen sind zum Teil aus Songmaterial von uns, welches schon vorhanden war, und zusätzlich aus völlig neuen Ideen, die mit den Liveaufführungen entstanden sind.

Da der Film in Transsilvanien (Rumänien) und Wisborg spielt, entstand der Schluss-Song (Rumànka) mit einer wunderschönen Melodie und Harmonie von Dany Kuhn. Das aussergewöhnliche an diesem Song ist, dass er rumänisch klingt, aber in eigenen Sprachsilben von Irina Maria Garbini getextet wurde. Die Melodie ist immer wieder im Film zu hören, und wird am Ende zum krönenden Abschluss gespielt und gesungen.

Wie sah Ihre Arbeit in den letzten zwei Jahren im Studio aus?

Im ersten Jahr war Irina damit beschäftigt, den ganzen musikalischen Teil der ersten beiden Aufführungen 2019 passend in den Film einzufügen, um zu schauen, wie es nachwirkt.

Da wir selbst ein Aufnahmestudio zu Hause haben, konnten wir jederzeit aufnehmen.

Wir verbrachten jede freie Minute voller Vorfreude und Inspiration, einzeln oder zusammen im Studio Dany hat sich zuerst damit befasst, die vorhandenen Ideen, die dann natürlich auch mit Szenenlängen übereinstimmen müssen, auszukomponieren. Danach hat er alle Pianos und Keyboards aufgenommen. Irina hat die Gesänge und das eigentliche Hauptinstrument des Projektes, die Baklama eingespielt. Für die Aufnahmen brauchten wir ein Jahr. Als wir dann mit dem Resultat zufrieden waren, haben wir Jo Eberhard ins Boot geholt, der uns den Sound im aktuellen Kinoformat Dolby-Atmos-Surround abmischt, damit wir den Film mit unserer Musik auch ins Kino bringen können. Diese Arbeiten werden jetzt gerade abgeschlossen.

Wir haben einen Kontakt zu einem Filmverleiher, den wir angehen werden, sobald wir mit dem Mix für das Kino-Surround-Format fertig sind, und es auch präsentieren können.

Danach wird der Film den Kinos angeboten. So dass nicht wir selbst nach Kinos fahnden müssen. Natürlich wäre es super, wenn die Kinos in der Schweiz anbeissen würden.

Wir werden uns darauf konzentrieren, den Film live vorzuführen und unsere Musik dazu zu spielen und freuen uns auf möglichst viele Vorführungen.

Wo und wann finden die nächsten Aufführungen statt?

Live Vorführungen

Sa 12. 03. 22 Industrie36 Rorschach

Mi 16. 03.22 Kellerbühne St.Gallen

Sa 09.07. Kul-Tour Vögelinsegg

Mo 19. 09. 22 Kino Madlen Heerbrugg

Sa 12. 11. 22 Assel-Keller Wald Schönengrund

Neben dem Kino soll er auch auf Bühnen gezeigt werden. Wie sieht dies genau aus?

Der Stummfilm läuft über einen Projektor und wir vertonen ihn live. Wir haben den musikalisch roten Faden, lassen aber auch oft Raum, um Neues entstehen zu lassen. Dabei spielt die ganze Atmosphäre, das Publikum, der Saal der Film und wir als Musiker eine wesentliche Rolle. So wird es immer wieder anders und sehr inspirierend auch für uns Musiker.

Wie oft haben sie den Film inzwischen selbst gesehen, um passende Kompositionen zu gestalten?

Gefühlt, tausendmal???! Und trotzdem entdecken wir immer wieder Neues darin! Ein wahrhaft fantastischer Film!

Irina: Nachdem ich den Film so viele Male gesehen habe, haben mich die Schauspieler in ihren Rollen sehr fasziniert. Aussergewöhnlich sind auch die vielen Charaktere, die in Nosferatu zu erkennen sind. Sehr schüchtern, irgendwie witzig, furchteinflössend, mit stattlichem Ausdruck, sich aber auch verletzlich zeigend. Und zu guter Letzt: Die Liebe, die immer wieder präsent ist, und dass sie schlussendlich siegte.

Dany: Eine faszinierende Liebesgeschichte. Der Böse verliebt sich in die Frau des Guten.

Die Liebe besiegt die Epidemie in Form von Graf Orlok. Aber leider muss auch die Frau ihr Leben dafür lassen. Irgendwie eine Tragödie mit gutem Ausgang. Oder nicht?

Stölzle /  Brányik
Autor/in
Nadine Linder

Nadine Linder war Redaktorin von «Die Ostschweiz».

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.