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Kafkaeske Zustände am Gericht

Zensur anstatt Fehlerkultur: Das Verbot eines «Weltwoche»-Artikels ist nur die Spitze des Eisbergs

Aufgrund der richterlichen Unabhängigkeit kann die Justiz tun und lassen, was sie will. Hätte es noch eines Beweises dafür bedurft: Der EGMR lieferte ihn mit seinem Urteil zu den Klimaseniorinnen. Doch auch auf unteren Ebenen zeigt man sich bisweilen ziemlich ‹kreativ›.

Thomas Baumann am 21. Mai 2024

Wer letzte Woche die «Weltwoche» anschaute, kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Da starrte einem doch ein Buchstabensalat direkt ins Auge: «XXX.XXX.XXX.XXX». Der Grund dafür: Zensur. Eine richterliche Person (um diese neudeutsch politisch korrekt zu benennen) an einem hier nicht näher zu bezeichnenden Bezirksgericht fühlte sich auf den Schlips getreten, weil eine Zeitung sich doch tatsächlich erdreistete, sie zu zitieren. Das Gericht verschickte eine Abmahnung an die Zeitung und die Zitate wurden daraufhin ge-X-t.

Mit den Mechanismen der Aufmerksamkeitsökonomie scheinen im konkreten Fall weder das Gericht noch die richterliche Person sehr vertraut zu sein. Sonst hätte ihnen klar sein müssen: Versucht man mit allen Mitteln etwas unter den Teppich zu kehren, dann sorgt das im Gegenteil für umso mehr Aufmerksamkeit.

Bezirksgerichts-Posse

Weil sich die richterliche Person nun offenbar auch an den «XXX» störte — vermutlich war sie hier (oh Wunder!) wiederum der Ansicht, jemand würde ihre Zitate verfälscht wiedergeben — musste die «Weltwoche» letztlich gleich den ganzen Artikel löschen. So entschieden von einem anderen, hier ebenfalls nicht zu nennenden, Bezirksgericht in einer regelrechten ‹Bezirksgerichts-Posse›.

Gemäss Angaben in der linksliberalen Tagespresse musste der «Weltwoche»-Artikel schon vor dem Verbot wiederholt angepasst werden. So wurden, auf eine Intervention des Anwalts der richterlichen Person hin, die Initialen derselben aus dem Artikel entfernt. In der übrigen Presse hingegen sind sowohl Parteizugehörigkeit wie Geschlecht der richterlichen Person weiterhin öffentlich zu lesen.

Der Hintergrund der ganzen Geschichte: Ein Mann wurde von seinem Arbeitgeber entlassen, wobei er diese Kündigung für missbräuchlich hielt und im naiven Glauben an den ‹Rechtsstaat›, wie er bei juristischen Laien noch öfters vorkommt, vor Gericht klagte. Auch die richterliche Person hielt in der geheimen Urteilsberatung die Kündigung für missbräuchlich, wie man in der linksliberalen Tagespresse derzeit immer noch unzensiert nachlesen kann, suchte aber dennoch nach einem Grund, um dem Kläger nicht recht geben zu müssen.

Hanebüchene Begründung

Diesen Grund fand sie dann auch: Offenbar sind bei gesagtem Arbeitgeber vor allem Mitarbeiter mit grossem Impf-Enthusiasmus angestellt, welche sich in den morgendlichen Kaffeepausen regelmässig daran ergötzten, über Pandemie-Massnahmengegner abzulästern. Ein Gruppenplausch, wozu der Kläger mangels eigener Impffreudigkeit leider nichts beitragen konnte, weswegen man ihn in der Firma «nicht mehr spürte». Als offizieller Kündigungsgrund angegeben wurde aber «ungenügende Leistung».

Nach lautem Nachdenken kam die richterliche Person in einer scheinbar genialen Quadratur des Kreises (gemäss der derzeit noch nicht zensurierten linksliberalen Tageszeitung) «zum Schluss, dass das ‹Geschwurbel› [des Klägers] seine Leistung beeinträchtigt habe.» Ob uns die Richterin damit indirekt mitteilen wollte, dass die «Leistung» besagter Firma vor allem im morgendlichen Ablästern bestand, ist leider nicht bekannt…

Der Volksmund weiss: Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. Und so fand die richterliche Person mit dem angeblichen «Geschwurbel» den Anlass, um selber einmal so richtig fröhlich drauflos zu schwurbeln. Dumm gelaufen für sie: Die Öffentlichkeit bekam ihre eher unbedarften Sophistereien sozusagen live mit.

Dies deshalb, weil der Kläger die ebenfalls nicht gerade über alle Zweifel erhabene Idee hatte, die Konversationen mit seinem Arbeitgeber, vor der Schlichtungsbehörde und vor Gericht allesamt mit einem Aufnahmegerät heimlich aufzuzeichnen — und Auszüge daraus in einem rund halbstündigen Video ins Internet zu stellen. Nicht gerade die feine englische Art und selbstverständlich illegal.

«Kein Mensch ist illegal!»

Doch wie ernst wird in einer Gesellschaft der Begriff der Illegalität überhaupt noch genommen, in der sich selbst Richter vor Gericht mit Klimaklebern solidarisieren und im linken Spektrum breit verankerte Gruppierungen (in diesem Fall kann festgehalten werden, dass die im Kreuzfeuer der Kritik stehende richterliche Person einer linken Partei angehört) mit dem Slogan «Kein Mensch ist illegal!» hausieren gehen?

Item. Der «Weltwoche»-Artikel über ein Bezirksgericht musste wie gesehen auf Geheiss eines anderen Bezirksgerichts gelöscht werden, während (wenigstens) die linksliberale Presse weiter über den Fall berichten darf, inklusive Nennung von Geschlecht und Parteizugehörigkeit der richterlichen Person, Foto mit deutlich sichtbarer Adresse des Gerichts, sowie vierfachem Zitieren der Äusserung «Geschwurbel» der richterlichen Person, welche ja illegal aufgenommen worden sein sollte.

Wie um dem Gericht die lange Nase zu zeigen, durfte der nicht geimpfte Kläger darüber hinaus in den Kommentarspalten zum Artikel gleich selber noch darauf hinweisen, wo man sein Video trotz richterlicher Abmahnungen weiterhin finden kann.

Nein, es ist kein obskurer russischer oder chinesischer Kanal — sondern einer aus dem Mutterland der Demokratie. Dort leistet man sich weiterhin den Luxus, trotz aller Abmahnungen die Informationsfreiheit hochzuhalten. Der Journalist, welcher sich selbst ein Bild der Gemengelage machen möchte, dankt.

Gerichts-Possen allerorten

Tatsächlich kommt diese Posse für Eingeweihte nicht überraschend. Als Journalist macht man mit solchen Bezirksgerichten regelmässig unfreiwillig komische Erfahrungen. So erst kürzlich wieder. Es ging um den Fall Andreas Glarner, welcher gemäss einem anderen Bezirksgericht, dessen Name und Adresse hier ebenfalls völlig unerheblich sind, ungestraft als «Gaga-Rechtsextremist» bezeichnet werden darf.

Anfang Februar verkündete jenes Bezirksgericht in einem mündlichen Urteil, dass diese Bezeichnung des bekannten SVP-Haudegens zulässig sei. Das Medienecho war gross, SRF schrieb dazu: «Die Bezeichnung sei strafrechtlich nicht zu beanstanden, heisst es in der Urteilsbegründung.»

Anfrage an ebendieses Bezirksgericht um Zustellung des Dokuments, aus dem SRF offensichtlich zitiert. Antwort des Gerichtsschreibers: «[Es] wurde den an der Verhandlung anwesenden Vertretern der Presse auf deren Wunsch hin im Nachgang an die mündliche Urteilseröffnung eine entsprechende Notiz betreffend zwei Punkt in der juristischen Argumentation ausgehändigt, um ihnen die korrekte Wiedergabe der mündlichen Urteilsbegründung zu erleichtern. Diese beiden juristischen Aspekte stellen aber nur einen Teil der mündlichen Gründung des Urteils dar und können nicht losgelöst vom Rest des Gesagten betrachtet werden. Insofern handelt es sich bei der erwähnten Notiz weder um eine Medienmitteilung noch um eine Kurzfassung des Urteils. […] Aus diesen Gründen können wir die vorerwähnte Notiz nur Personen aushändigen, welche an der mündlichen Urteilseröffnung anwesend waren.»

Arroganz und Notlügen

Die kleinen Notlügen beginnen schon bei der Formulierung: Nicht aushändigen können oder wollen? Juristisch sprach wohl rein gar nichts gegen eine Abgabe. Aber ja: Kann man andere herablassend behandeln, dann kann man sich so seiner eigenen Macht versichern. «Le souverain, c'est moi!»: Was ich nicht will, das geschieht nicht.

Und wenn in jener Notiz tatsächlich steht, die Bezeichnung sei «strafrechtlich nicht zu beanstanden», wie SRF schreibt, dann ist ja nicht einzusehen, warum eine solche Formulierung nicht auch ohne weiteren Zusammenhang verständlich sein sollte. Ausser man halte Journalisten per se für Analphabeten, welche nicht einmal in der Lage sind, ein Urteil richtig zu buchstabieren.

Um sich an seiner Macht in seinem Königreich vom Umfang eines kleinen Büros noch mehr zu ergötzen, schob der Gerichtsschreiber einige Tage später noch nach: «Wir verweisen auf unser E-Mail von X. Weitergehende Auskünfte können wir nicht erteilen und künftige Korrespondenz in dieser Sache wird unsererseits entsprechend nicht mehr bearbeitet werden. Vielen Dank für Ihr Verständnis.» Jeder weiss, wie eine solche Formulierung zu deuten ist: ‹Verpiss dich, du Blödmann!›

Natürlich verkrümeln sich Medienschaffende danach artig und melden sich nie wieder. Denkste!

Ominöse «Notiz»

An die nächste Türe klopfen also, auf der Suche nach der geheimnisvollen, nicht ausgehändigten «Notiz». Die Sprecherin der kantonalen Gerichtsbehörden schreibt dazu: «Nach Rücksprache mit dem Bezirksgericht X wurde die fragliche Notiz den teilnehmenden Medienschaffenden abgegeben, um ihnen die korrekte Wiedergabe der mündlichen Urteilsbegründung zu erleichtern.»

Wer hat sie also abgegeben, diese Notiz? Das Gericht dürfte sie ja schliesslich kaum nach Rücksprache mit sich selbst abgegeben haben.

Weiter zur Vorgesetzten ebendieser Sprecherin. Gemäss dieser hat «der verfahrensleitende Gerichtspräsident anlässlich der Urteilsverkündung die an der Verhandlung anwesenden Medienschaffenden informiert, dass sie (vom Gerichtsschreiber ebendieses Gerichtes) eine Notiz erhalten können, um ihnen die korrekte Wiedergabe der mündlichen Urteilsbegründung zu erleichtern.»

«Der Versand erfolgte an die darum ersuchenden Personen nach rund 1.5 Stunden per Mail.» Dieses Angebot an die Medienschaffenden entsprang der «eigenen Initiative» des Gerichtspräsidenten und es galt «für die anwesenden Parteien in gleicher Weise».

Widersprüche über Widersprüche

Doch worum handelt es sich bei dieser ominösen Notiz denn überhaupt? Dazu schreibt die Gerichtsbehörde: «Das besagte Dokument stellt kein formelles Aktenstück dar, das Eingang in die Akte findet. Es gehört — wie auch andere interne Dokumente (Anweisungen per Post-it, Aktennotizen von Mitarbeitenden, Telefonnotizen/E-Mail zu Terminabsprachen etc.) — zu den sogenannten Handnotizen, die weder zur formellen Akte gehören, noch aufbewahrt werden, noch öffentlich sind.»

Aber in diesem Fall explizit für die Öffentlichkeit bestimmt waren! Also eine für die Öffentlichkeit bestimmte nicht öffentliche Notiz. Ein wahrlich lustiges Zwitterwesen!

Auch sonst sind diese Notizen ein sonderbares Ding: Weder Medienmitteilung (obwohl für die Medien bestimmt), noch Kurzfassung des Urteils. Schriftlich in der Form, aber Teil der mündlichen Urteilsbegründung.

Sie gehören nicht zur Akte, werden nicht aufbewahrt und den Parteien nicht zugestellt — ausser diese ersuchen darum. Jedoch: Das einzige Schriftstück, um dessen Zustellung die Parteien in einem Gerichtsverfahren üblicherweise ersuchen, ist die Zustellung der Akte zwecks Studium derselben.

Und wie wird diese Handnotiz den Parteien gegebenenfalls denn zugestellt? Per E-Mail oder per Einschreiben? Dazu muss man wissen: Quasi alles wird in einem Gerichtsverfahren per Einschreiben versandt. Das Verfahren ist stark formalisiert, per E-Mail läuft dort nichts. Also: Zustellung einer E-Mail per Einschreiben? Oder doch per E-Mail? Das Ganze wird tatsächlich immer absurder…

Null Verständnis für freie Märkte

Doch warum überhaupt die Verweigerung der Abgabe an nicht anwesende Medienschaffende? Mit der Notiz sollte ausschliesslich «die mediale Aufbereitung einer Urteilsbegründung unterstützt werden», heisst es auf Anfrage. Was die Gerichtsbehörden vergessen: Die mediale Nachbetrachtung ist ebenso wichtig.

Wenn ein Medium aus einem Dokument zitiert, dann sollten die anderen Medien in einer Demokratie überprüfen können, ob dieses Medium das Dokument auch richtig interpretiert. Das nennt man einen freien Informationsmarkt. Aber das Verständnis für freie Märkte scheint bei den inhärent monopolistischen Gerichtsbehörden aus naheliegenden Gründen nicht allzu ausgeprägt zu sein.

Das letztlich kafkaeske Theater hätte sich leicht lösen lassen: Entweder gibt man diese Handnotizen auch an nicht anwesende Journalisten ab oder publiziert sie gleich auf der eigenen Webseite. Etwas Vertrauen in die Fähigkeit der Medienschaffenden, ihre Kompetenzen richtig einschätzen zu können, könnte man schon voraussetzen. Doch sogar der NZZ wollte man das Dokument nicht abgeben. Störrisch bis zum Ende — da könnte selbst ein Esel neidisch werden.

Mangelnde Einsicht

Einsicht, Wille zur Besserung, mithin das, was vor Gericht so gerne von einem Angeklagten eingefordert wird: Im Falle solcher Bezirksgerichte selber keine Spur davon! Man mauert, schweigt, zeigt sich stur — und schreckt selbst nicht vor Zensur zurück. Kein Angeklagter könnte sich ein solches Verhalten vor Gericht erlauben. Das Gericht hingegen darf alles. Es ist quasi sein eigener rechtsfreier Raum. Die Macht eines Monopolisten zeigt sich hier in ihrer ganzen Pracht.

Und dann eine schon fast grenzenlose Arroganz. So meinte ein ehemaliger Oberrichter unlängst in einem Interview: «Ich glaube nicht, dass ich an einem eigentlichen Justizirrtum beteiligt war.» Träume weiter, guter Mann! Es liegt in der Natur der Sache, dass Gerichte, um die Quote zu Unrecht laufen gelassener Straftäter nicht übermässig hoch werden zu lassen, hin und wieder auch Unschuldige verurteilen (müssen).

Selbstüberschätzung: Auf Richterbänken keine seltenes und wohl strukturell bedingtes Phänomen. Etwas mehr Demut und kritische Selbstreflexion wäre daher dringend angezeigt, bevor man andere mundtot machen will.

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Autor/in
Thomas Baumann

Thomas Baumann ist freier Autor und Ökonom. Als ehemaliger Bundesstatistiker ist er (nicht nur) bei Zahlen ziemlich pingelig.

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