Die entscheidende Aufgabe bei Raiffeisen lautet derzeit: Die Genossenschaften müssen ihre Macht zurückerobern.
Vieles ist über Raiffeisen geschrieben worden; mehr, als uns eigentlich lieb ist. Vor lauter Negativ-Schlagzeilen sind die eigentlichen Stärken der Genossenschaftsgruppe fast gänzlich von der Bildfläche verschwunden.
Der Skandal rund um die Leuchtfigur Pierin Vincenz, verbunden mit einem personalisierten Boulevard-Journalismus, wo es nur noch um Personen, Köpfe (und Köpferollen!) und Schuldfragen ging, hat tiefe Spuren hinterlassen. Bei den einzelnen Genossenschafterinnen und Genossenschaftern genau gleich wie bei allen Mitarbeitern der sympathischen Landbanken. Auch die Angestellten von Raiffeisen Schweiz werden sich einiges gedacht haben, was sie da fast täglich in den Medien über ihre Chefs und Vorgesetzten zu lesen hatten.
Dabei ist nicht die zentrale Frage, wer denn nun neu das VR-Präsidium bei Raiffeisen Schweiz besetzen wird und wer nach Patrik Gisel CEO derselben werden soll. Zentral ist die Frage, wie es die 255 Raiffeisen-Genossenschaften anstellen werden, als Besitzer wieder die Chefs der abgehobenen Dienstleistungszentrale von St. Gallen zu werden. Wie sie die Macht zurück erlangen an die Basis des Raiffeisen-Grundgedankengutes. Ein Machtkampf, der alles andere als entschieden ist, der aber weit wichtiger sein wird, als die Personalien für irgend einen Job in St.Gallen.
Die DNA von Raiffeisen wird vor allem von den einzelnen Genossenschaften und deren Repräsentanten gelebt und hoch gehalten. Neben dem täglichen Kundenkontakt ist auch das Wissen, woher man kommt und was die einfachen Leute vor Ort bewegt. Das Mass, um Dinge einfach zu sehen, einfach zu gestalten und Herr und Frau Schweizer in Sachen Finanzdienstleistungen den bestmöglichen Service (vor Ort übrigens!) anzubieten.
Es tönt eigentlich ganz einfach… und ist es mitunter auch. Das waren die Tugenden, welche Raiffeisen zur drittgrössten Bank-Kraft in der Schweiz gemacht haben. Und nicht die unentschuldbaren «Schicki-Micki-Allüren» der Chefs der St.Galler Raiffeisen-Servicezentrale.
Dass ausgerechnet die FINMA die RB Schweiz als ihren Handlanger in nicht unwesentlichen Belangen der gesamten Raiffeisengruppe und den einzelnen Raiffeisen-Genossenschaftsbanken eingesetzt hat, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. So wurde diese ganze Machtkonzentration erst möglich – Pierin Vincenz hat das dann einfach noch gekonnt mit der Geschäftsleitung zusammen auf die Spitze getrieben und perfektioniert.
Die Kompetenzen müssen zukünftig bei der «neuen Raiffeisen» unbedingt wieder bei den Eigentümern, sprich den einzelnen Raiffeisenbanken, angesiedelt werden. Sogar Professor Peter Kunz hat sich so in der Weltwoche geäussert – und das heisst was. Raiffeisen hat viele Chancen, ihre Zukunft selber zu gestalten; den Machtkampf um die Führung, um die Kompetenzen und wer wem wann was zu sagen hat, den müssen die Genossenschaften aber gewinnen - egal wie hoch! Nicht, dass Raiffeisen eines Tages nur noch eine gewöhnliche Bank ist!
Der verheiratete CVP-Kantonsrat führte während einem Vierteljahrhundert eine Raiffeisenbank. Er war Gründungsmitglied einer genossenschaftlichen Lokalzeitung im Hinterthurgau, die er jahrelang als VR-Präsident ehrenamtlich führte. Der frühere Kunstturner ist jetzt freiberuflich tätig und momentan mit der Neulancierung eines Bücherladens in seiner Wohnortsgemeinde Aadorf beschäftigt. Er ist Ehrenmitglied der VTS (Vereinigung Thurgauer Sportverbände), wo er Sport und Politik einander näher brachte.
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