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Gastbeitrag

«Zwischendurch huscht M. mit Maske und Handschuhen in die Küche»

Wer das neue Migros-Magazin aufschlägt, auf Seite 10 weiterblättert und nicht kritiklos glaubt, was die vom Staat bezahlten Gesundheitsexperten sagen - den muss beim Lesen des Berichts «Ich bin positiv» das kalte Grausen packen. 

Nicolas Lindt am 20. Oktober 2020

Wie ein Migrosmagazin-Journalist und seine positiv getestete Partnerin ihre Quarantäne beschreiben, liest sich wie Sciencefiction - nur dass die vermeintliche Zukunft inzwischen schweizerische Realität ist.

Nach ihrer Rückkehr aus den Ferien in Italien, wo das Paar selbstverständlich «meistens maskiert war» - wie der Journalist ohne jedes Bedauern feststellt - spürt M., seine Partnerin, «leichtes Fieber und Gliederschmerzen», Symptome einer leichten Grippe, wie wir sie alle kennen. Sofort aber geht sich M. testen, mit positivem Ergebnis, was für sie persönlich 10 Tage Isolation und ihren Partner 10 Tage Quarantäne bedeutet. Auch der gemeinsame Sohn muss 10 Tage zuhause absitzen, obwohl er seine Ferien nicht mit den Eltern verbrachte. Sicherheitshalber lässt sich auch der Journalist selber testen, mit negativem Ergebnis, aber Hauptsache, der neuen Moral wurde Genüge getan.

M. geht es «den Umständen entsprechend gut», die Gelenkschmerzen und das Fieber sind interessanterweise nach dem ersten Tag wieder weg, doch wer sucht, der findet: M. spürt «Schmerzen im Brustbereich»!

Am Tag 2 kommen «Verdauungsstörungen und ein leichter Husten hinzu». Wetten, dass unser seriöser Zeitungsmann die Symptome ein wenig aufgepeppt hat? Für eine Corona-Story würden sie sonst zuwenig hergeben.

Bereits am Tag 3 geht es M. wieder «recht gut» - nur «ein leichter Husten» kann noch vermeldet werden. Dafür möchte M. endlich «raus», sie möchte «Bäume ausreissen»! Das natürlichste Bedürfnis der Welt, wenn Besserung eintritt: Spazierengehen in der Natur, Sauerstoff tanken. Doch M. muss in ihrem Zimmer bleiben. «Verlässt sie es», berichtet ihr Partner, «trägt sie Maske und hält Abstand.» Er schildert die Situation so neutral, als würde er ihre Kleidung beschreiben. Und er erwähnt den Abstand, den sie nun zu ihm einhält, obwohl M. noch kurz zuvor das Bett mit ihm teilte. Sie bekommt einen kleinen Tisch in ihr Zimmer, wo sie ihr Essen einnimmt, benutzt eine der zwei Toiletten für sich allein und desinifziert sich wohl hundertmal täglich die Hände.

«Zwischendurch huscht M. mit Maske und Handschuhen in die Küche, macht sich einen Tee und verschwindet wieder. Gespenstisch.»

?Ein gespenstisches Bild, in der Tat – gespenstisch aber auch deshalb, weil der Bericht nicht den geringsten Zweifel am Sinn des Quarantänezwangs äussert. Eine Infantilisierung der Wahrnehmung findet hier statt, ein Rückfall in ein Schülerverhalten, das gedankenlos ausführt, was der Lehrer anordnet. Bereits mit dem fünften Tag, mangels spektakulärer Entwicklungen, endet der Erfahrungsbericht – aber ich glaube, behaupten zu dürfen, dass M. bis am zehnten Tag ihre Maske und Handschuhe trug, sobald sie ihr selbstgewähltes Gefängnis verliess.

Selbstgewählt allein deshalb, weil sie sich testen liess.

Nachsatz: Schon vor Monaten übrigens wurde die Leserbriefspalte im Migrosmagazin abgeschafft. Leserinnen und Leser haben also keine Möglichkeit mehr, Stellung zu nehmen.

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Nicolas Lindt

Nicolas Lindt (*1954) war Musikjournalist, Tagesschau-Reporter und Gerichtskolumnist, bevor er in seinen Büchern wahre Geschichten zu erzählen begann. Neben dem Schreiben gestaltet er freie Trauungen und Abdankungen. Der Schriftsteller lebt mit seiner Familie in Wald und Segnas.

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