Die Bodenseeinternationale der sozialdemokratischen Parteien - ja, so etwas gibt es tatsächlich - stellt sich gegen die geplanten Corona-Protestaktionen in Konstanz und Kreuzlingen. Der Grund: Es könnten die falschen Leute mitmarschieren. Diese Haltung hat System.
Die Medienmitteilung beginnt hoffnungsvoll. «Es gibt ein Menschenrecht auf Zweifel und auf kritische Anmerkungen zu einzelnen Massnahmen der Behörden bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie.» Das schreibt das Präsidium der Bodenseeinternationale der sozialdemokratischen Parteien (SBI). Aber dann kommt das «aber». Denn weiter heisst es. «Der Rorschacher SP-Politiker Fredi Alder und sein Kollege von der SPD, Willi Bernhard, lehnen aber eine Beteiligung an den Protest-Aktivitäten rings um den Bodensee am Wochenende ab.«
Die Begründung: «Wir marschieren grundsätzlich nicht mit rechtsextremen Demonstranten und anderen GegnerInnen der Demokratie», erklärten Alder und Bernhard in einer Medienmitteilung. Man habe «grossen Respekt vor den Bemühungen der nationalen und regionalen Gesundheitsbehörden in der Vierländerregion am See, mit einer vorübergehenden Einschränkung mancher Freiheitsrechte im öffentlichen Raum die Gesundheit von anderen Mitmenschen in den Covid-19-Risikogruppen zu schützen.» Die fürs Wochenende geplante Protestaktion rings um den Bodensee sei«insofern unverantwortlich und nicht zu rechtfertigen, «wenn manche Beteiligte für Frieden und Freiheit und gegen die gegenseitige Entfremdung(so das Motto der Veranstalter) eintreten wollen und umgekehrt vor Morddrohungen und Schmähungen gegen Virologen und Politiker nicht zurückschrecken.»
Man muss das alles kurz sinken lassen. Die vereinigten Sozialisten halten es für ein Menschenrecht, zu protestieren. Das müssen sie auch, das ist ja das, was sie selbst den lieben langen Tag tun. Aber weil bei dieser Protestaktion auch die einen oder anderen «falschen» Leute mitmarschieren könnten, ist die ganze Sache zu verurteilen.
Neu ist das nicht bei der Linken. Wir erinnern uns an damals, als es um die Frage ging, ob der 1. August zum offiziellen Feiertag erklärt wird. Gemessen an ihrer eigenen «Kundschaft» hätten das die Sozialisten toll finden müssen, immerhin ging es um einen zusätzlichen freien Tag für die Arbeiterschaft. Dennoch mochte kaum einer links der Mitte öffentlich und aktiv für das Anliegen einstehen, auch wenn die SP die Ja-Parole beschloss. Die Grünen hingegen konnten sich nicht dazu durchringen. Warum? Ganz einfach: Die Initiative war von den rechten «Schweizer Demokraten» ergriffen worden, dem politischen Feind. Sprich: Selbst wenn das Anliegen unterstützenswert ist, darf man wie im Fall der Grünen nicht dafür sein, weil es von den «Falschen» ausgegangen war.
Und auch jetzt wieder: Die Sozialisten, die sich dauernd in der beklagenswerten Minderheit wähnen, sprechen sich gegen einen Protest gegen staatliche Massnahmen aus, einfach, weil allenfalls auch noch einige verirrte Ewiggestrige mit rechtsradikalen Parolen mitmarschieren könnten. Dabei gäbe es kaum ein Betätigungsfeld, in dem sich die Bodenseesozialisten so wirkungsvoll in Szene setzen könnten wie beim Thema Corona, bei dem sie ja selbst konstatieren, es gebe Grund genug für Zweifel und kritische Anmerkungen.
Vor allem aber: Weil irgendwelche Provokateure irgendwann eine angebliche Morddrohung gegen irgendjemanden ausgestossen haben, ist gleich das ganze Anliegen toxisch? Zur Erinnerung: Die Sozialisten treten immerfort für Anliegen ein, bei denen auch irgendjemand irgendwann Steine geschmissen oder Schlimmeres getan hat. Der 1. Mai ist dabei nur ein Beispiel. Seltsamerweise ist das bei den eigenen Anliegen kein Ausschlusskriterium. Oder hat sich - um ein aktuelles Beispiel zu nennen - die Sozialistische Bodenseeinternationale vom Jungsozialisten in Wil distanziert, der gerne einen Zeitungsverleger in Brand stecken würde und alle Polizisten als «Schweine» bezeichnet?
Da herrscht grosses Schweigen, weil die «richtige» Seite Mist gebaut hat.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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