Briefkopf der Firma Raduner aus dem Jahr 1929.
Das Raduner-Areal in Horn, das im August 2015 abbrannte, war ein Mikrokosmos verschiedenster Figuren. Und ein undurchsichtiges Geflecht von Mietern, Untermietern und Unteruntermietern. Der Mann, dem Brandstiftung und versuchter Versicherungsbetrug vorgeworfen wird, war das Zentrum dieses Geflechts.
Teil 1 dieser Serie können Sie hier lesen.
Teil 2: Der Mikrokosmos der bunten Gestalten
Brennt ein Einfamilienhaus, stehen die Geschädigten schnell fest. Auch bei einem einzelnen Gewerbebetrieb. Doch der Grossbrand auf dem Raduner-Areal vom Sommer 2015 liegt anders. Einst war hier die Namensgeberin, die Raduner und Co. AG, untergebracht. Das Areal umfasst 47'000 Quadratmeter. In der Blüte des Unternehmens waren hier 500 Personen angestellt. Bis 1989 veredelte Raduner Textilien. Später wurde über der Raduner AG Konkurs eröffnet. Nachdem kein Betrieb mehr herrschte, kümmerte sich auch niemand mehr um die Gebäulichkeiten. Die Infrastruktur sei einsturzgefährdet gewesen, schreibt die Kantonspolizei Thurgau in ihrem Bericht zum Brandfall - und meint damit bereits vor dem Brand.
Man würde meinen, ein solches Areal an dieser Lage und mit diesen Dimensionen müsste nach dem Konkurs der vormaligen Besitzer viele Interessenten hervorrufen, die hier ihre Wünsche verwirklichen. Hier war das allerdings schwierig. Denn der Boden des Areals ist durch die Textilproduktion teilweise kontaminiert. Bevor Neues entstehen kann, braucht es eine an ausgewiesenen Punkten eine Altlastensanierung. Diese beschäftigt bis heute Behörden und Gerichte.
Briefkopf der Firma Raduner aus dem Jahr 1929.
Ernst M. kommt ins Spiel
Dennoch gab es einen Käufer: Die Eberhard Bau AG in Kloten, ein Unternehmen, das sich auf die Beseitung von Altlasten in Böden spezialisiert hat. Das wollte sie auch hier tun. Selbst betrieb sie auf dem Areal keine Aktivitäten. Aber sie wurde damit zur Vermieterin. Die Mieterin war die VTAG Verwaltungs- und Treuhand AG des Gossauer Immobilienunternehmers Ralf K.
Die VTAG bezahlte zunächst 1500, später 2000 und danach 3000 Franken pro Monat. K, wiederum brachte Ernst M., den mutmasslichen späteren Brandstifter, als Untermieter ins Spiel. Das war bereits 1993. M. hatte sich damals mit der VTAG mündlich geeinigt, eine Halle für 500 Franken zu mieten. Das war nur der Beginn. M. mietete im Lauf der Zeit Halle um Halle, Raum und Raum dazu, «bis er am Schluss das ganze Areal mietete», wie es im «Ursachenbericht Brand in Lagerhalle» der Kantonspolizei heisst, welche «Die Ostschweiz» vorliegt.
Ernst M. war ein Trödler aus Leidenschaft, und das war dem Raduner-Areal bald anzusehen. Zum Zeitpunkt des Brandes war der grösste Teil der Räume mit Trödlerwaren und Gegenständen aus Hausräumungen belegt, teils zum Verkauf, teils zur Lagerung. Alles wurde ein Opfer der Flammen.
Zwei oder sechs Monate?
1998 gründete M. die Restpo AG. Auf sie lief ab 1998 ein Mietvertrag mit der VTAG für das ganze Areal. 5500 Franken kostete das monatlich. Später wurde die Summe auf 4500 Franken reduziert, weil weniger Räume genutzt wurden. Als Kündigungsfrist wurden sechs Monate vereinbart. Aber das galt nur für den Untermietvertrag. Im eigentlichen Mietvertrag zwischen dem Besitzer und der VTAG waren «unwiderruflich und unerstreckbar zwei Monate abgemacht», wie die Polizeiprotokolle festhalten. Ein wichtiges Detail, das später einer der Auslöser der Ereignisse gewesen sein könnte.
Der Aussenbereich des G'Wunderland, des grössten Untermieters von Ernst M.
Aber es wird noch verwirrlicher. Die Restpo AG von Ernst M., also die Untermieterin der VTAG, vermietete ihrerseits Teile der Lagerflächen weiter, und zwar an nicht weniger als 14 Einzelpersonen. In keinem Fall gab es einen schriftlichen Mietvertrag, alles geschah mündlich. Und überall wurden sechs Monate Kündigungsfrist vereinbart, obwohl die eigentliche Besitzerin auf zwei Monate bestand. Die Restpo AG kam gesamthaft auf Untermieteinnahmen von 6000 Franken, erwirtschaftete also einen Gewinn aus der Weitervermietung. Mit diesen Einnahmen ging Ernst M. hemdsärmelig um. Zum Teil wurde die Miete überwiesen, zum Teil bar ausgehändigt und landete in seiner Tasche.
Die Kündigung
Der Schlüsseltag nach der Theorie der Staatsanwaltschaft war der 27. Juli 2015. Ralf K., Besitzer der VTAG Verwaltungs- und Treuhand AG, meldete sich telefonisch bei Ernst M. und informierte ihn darüber, dass die Eberhard AG den Mietvertrag gekündigt hatte. Einen Tag später trafen sich die beiden Männer zur Aussprache. Und am 29. Juli meldete sich die Eberhard Bau AG bei Ernst M. und teilte ihm mit, auf welchen Zeitpunkt geräumt werden muss.
Dazu muss man sich vorstellen: Das Raduner-Areal war vollgepfercht mit tausenden von Trödlerartikeln und eingelagerten Waren - bs unter die Decken. Eine Räumung in dieser Dimension ist ein Grossprojekt, das in zwei Monaten kaum zu stemmen ist - und wenn, dann nur für viel Geld. Wo sollten die erhaltenswerten Sachen hin? Und was hätte eine fachgerechte Entsorgung des Rests gekostet?
Gegenüber der Polizei sagte Ernst M. stets, er habe angenommen, «dass die Kündigungsfrist ein halbes Jahr und nicht zwei Monate beträgt.» Es sei unmöglich, die Hallen in dieser kurzen Zeit zu räumen. Die Ermittler glauben auch, dass M. sich vor kostenintensiven Rechtsstreiten und Ersatzforderungen fürchtete, weil seine Untermieter von einer längeren Vertragsdauer ausgegangen seien. Er hätte ihnen plötzlich erklären müssen, dass sie sich innerhalb von 60 Tagen eine neue Bleibe für die Ware suchen müssen.
Zoff mit Untermieter
Dazu kam, dass der Hauptuntermieter der Restpo ein Problemfall war: die G'Wunderland GmbH von Max Niederer. Sie belegte die grösste Lagerfläche in mehreren Gebäuden. Auch hier gab es offenbar nur einen mündlichen Vertrag, und auch hier ging der Untermieter (beziehungsweise Unteruntermieter) von sechs Monaten Kündigungsfrist aus. Als es brannte, waren neun Monatszinse à 2500 Franken von der G'Wunderland GmbH an die Restpo ausstehend. Der Haussegen zwischen den beiden Seiten hing schief. Zudem brachte der Vertreter von G'Wunderland immer mehr Waren ins Lager, das bereits überfüllt war und Vorplätze versperrte - und auch wichtige Zugänge. Auch darüber entstand laut Polizeiprotokollen immer wieder Streit.
Aber entscheidender: Die G'Wunderland GmbH, die mittlerweile in Liquidation ist, verfügte über keine Feuerversicherung. Kurz: Sie hatte kein Interesse daran, dass es hier brennt.
Die Markierungen zeigen, wo die Löschdurchgänge versperrt waren.
Ende Juli 2015 kumulierten also die Ereignisse. Ernst M. wusste immer, dass er sein Amt als «Areal-Papa» irgendwann aufgeben musste, weil stets klar war, dass das Areal eines Tages zurückgebaut und von Altlasten befreit werden musste. Und das in absehbarer Zeit. Zuvor war das jahrelang Gegenstand juristischer Verfahren gewesen, doch in jenem Sommer 2015 zeichnete sich allmählich eine Lösung ab. Und wenn es soweit war, musste das Areal geräumt sein. Aus diesem Grund kündigte die Eberhard Bau AG ihrer Mieterin, der VTAG, die ihrerseits Ernst M. informierte. Damit stand dessen Lebenswerk vor dem Aus. Nicht nur die Trödelwaren. sondern auch sein «Restpo-Beizli», das er als Besenbeiz geführt hatte. «Seine beharrliche Hoffnung, im Herbst 2017 auf dem Raduner-Areal in Pension gehen zu können, wurde jäh zerstört», heisst es im Schlussbericht der Polizei.
Dieses Beizli hat sich über die Jahre zum gesellschaftlichen Herzen des Areals entwickelt. Wie sich Beobacher erinnern, gingen dort schillernde Figuren ein und aus, «häufig aus der Halb- und Viertelwelt», wie einer sagt. Die feuchtfröhlichen, zum Teil recht frivolen Zusammenkünfte seien legendär gewesen. Gesichtet worden seien «einschlägig bekannte Auto-, Yacht- und Uhren-Dealer und -Schieber wie auch ausrangierte, etwas abgehalfterte ehemalige Freudendamen.». Bei den Gästen war Ernst M. sehr beliebt, er galt als gastfreundlich und ging mit seinem teuren Grappa grosszügig um.
Verräterische Aussagen
Doch zurück zur entscheidenden Phase und dem steigenden Druck auf Ernst M. Dieser behauptete bei der Staatsanwaltschaft und bei der Polizei stets, er habe zum Zeitpunkt des Brands nichts gewusst von einer Kündigung oder einer Räumung. Damit stritt er ab, unter dem erwähnten Druck gestanden zu haben. Die Ermittler legen dieser Aussage in den Ermittlungsakten eine lange Liste von Daten in den zwei Wochen vor dem Brand gegenüber, in denen M. unzweifelhaft auf die eine oder andere Weise Kenntnis davon erhalten habe.
So habe er am 1. August beispielsweise gegenüber einem seiner Mieter gesagt: «Bin im Scheissdreck, letzten Donnerstag Kündigung per Ende August 2015 bekommen, will keinen Ärger mit K.» Verschiedene Zeugen sagen, dass sie M. in diesen Tagen aufgewühlt und nervös erlebt haben, von «verstört» ist sogar die Rede. Er habe auch begonnen, selbst an Sonntagen frenetisch Ware in Mulden zu werfen. Der Untersuchungsbericht kommt zum Schluss, er habe damals «die Fassung verloren».
Diese Ausgangslage wird im Prozess gegen Ernst M. wegen Brandstiftung und versuchtem Betrug ins Feld geführt werden. Und zwar als Teil des Motivs. Er wollte sich, so die Anklage, die erwarteten Räumungsarbeiten und Kosten dafür ersparen und gleichzeitig die «unerträgliche Mietsituation» entspannen beziehungsweise auflösen. Denn der Brand, so sind die Ermittler überzeugt, brach nicht zufällig in den Räumen der G'Wunderland GmbH aus - dem Untermieter, mit dem sich Ernst M. in den Haaren lag. Eine Theorie besagt auch, dass nur diese Räume hätten brennen sollen und das Feuer dann wegen der versperrten Löschdurchgänge aus dem Ruder lief.
Ist das Motiv genug, einen Brand zu legen? Vielleicht nicht für jeden Betrachter. Doch da war noch die Sache mit der Versicherungssumme.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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