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Reaktion auf Kinderfest-Absage

«Das Kinderfest ist keine Belastung für uns»

Das St.Galler Kinderfest 2021 soll nicht stattfinden. Begründet wird das unter anderem damit, man wolle die Textilindustrie schonen, die durch die Coronakrise jetzt schon leide. Nur: Die Textilunternehmer wollen nicht geschont werden. Im Gegenteil: Sie hätten Hand geboten fürs Kinderfest.

Stefan Millius am 17. Juni 2020

Der St.Galler Stadtrat begründet die Absage des Kinderfests 2021 auf mehrere Arten. Zum einen geht es um die Kosten vor dem Hintergrund einer ungewissen finanziellen Zukunft. Zum zweiten sei unklar, wie sich die Pandemie weiterentwickelt. Drittens soll der Fokus für die Schulkinder nach den Wochen des Ausnahmezustands nun wieder auf der Schule liegen. Und schliesslich gehe es darum, die Textilindustrie, einen wichtigen Pfeiler des Kinderfests, zu entlasten.

Was hält die angesprochene Textilindustrie von diesem Argument? Im Gespräch mit Emanuel Forster, CEO der Forster Rohner AG in St.Gallen:

Emanuel Forster, der zuständige St.Galler Stadtrat Markus Buschor sagt zum Thema Kinderfest-Absage im «Tagblatt», dass der Anlass zur Tradition der Textilstadt gehöre. Sehen Sie das auch so?

Ja, sicher! Das Kinderfest wie auch die Olma gehören ganz fest zur Tradition dieser Stadt. So wie Aussenstehende manchmal nicht verstehen, warum den Zürchern das Sechseläuten oder den Baslern der Morgenstreich viel bedeutet, so mag es wunderlich erscheinen, dass die St.Galler so sehr an ihrem Kinderfest hängen. Ich denke, es hat damit zu tun, dass viele Stadt-St.Galler das Kinderfest als Kindheitserinnerung in sich tragen. So auch ich selbst. Die Vorbereitung in der Klasse, die Böllerschüsse am Morgen, der Umzug durch die Stadt, die Bratwurst, die Vorführungen, das schöne Wetter - oder das Gewitter zum Schluss - und so weiter. Das hat viel mit Verwurzelung zu tun, mit einem Stück Kindheit und Heimat.

In der jüngeren Vergangenheit hat man die Textilunternehmer offenbar auch stärker ins Kinderfest einbezogen. Wie sah das konkret aus?

Ja, das war toll. Markus Buschor selbst hat vor sechs Jahren die städtischen Schulen von der Zusammenarbeit mit den Textilfirmen überzeugt. 2015 und dann vor allem 2018 wurden so die Schulen den Textilfirmen zugeteilt. Dabei gab es viel Freiraum in der Zusammenarbeit, den man nutzen konnte oder auch nicht, je nach Kreativität und Interesse der Verantwortlichen auf beiden Seiten. Bei Forster Rohner AG, Jakob Schlaepfer AG und Inter-Spitzen AG sah die Zusammenarbeit so aus, dass den Schulen Stickereien und Stoffe zur Verfügung gestellt wurden. Falls Interesse bestand, unterstützte man die Lehrpersonen und die Kinder in textil- und nähtechnischen Fragen. Auch wurden teils Führungen mit Klassen in den Betrieben angeboten, um die heutige textile Welt den Kindern so näher zu bringen. Es war eine Freude für die Kinder wie die Erwachsenen, die so entstandenen bunten Kreationen und die umgesetzten Ideen der Kinder bei schönstem Wetter und in Festlaune durch die Stadt ziehen zu sehen.

Nun wird Ihre Branche vom St.Galler Stadtrat auch zur Erklärung der Absage herbeigezogen. Man wolle die St.Galler Textilindustrie schonen, da viele Unternehmen auch ohne diese Zusatzbelastung durch ein Kinderfest zu kämpfen haben. Sind Sie persönlich froh um diese Schonung?

Ohne Frage durchlebt die Textilindustrie wie alle gerade eine schwierige Zeit. Die Läden all unserer Kunden, den grossen Marken der Welt, sind während Wochen geschlossen. Nur, hier von Schonung der Textilindustrie zu sprechen beziehungsweise die Textilindustrie teils auch als Grund für eine Absage herbeizuziehen, das ist etwas, das klar korrigiert werden muss. Das Kinderfest beziehungsweise das Arbeiten mit den Schulen ist für die Textilindustrie keine Belastung. Die textile Welt lebt von Kreativität, von Lebensfreude und Ausdruck von Ideen. Den Kindern ein Stück der Geschichte der Stadt, in der sie aufwachsen mit auf den Weg zu geben und sie zu fördern, selbst kreativ zu sein und mit textilen Materialien ihrer Stadt etwas zu erschaffen und präsentieren zu können, ist vielmehr eine Freude und eine Ehre, die viele unserer Mitarbeitenden stolz macht.

Wie begegnen Sie dem Argument, die künftige Entwicklung der Coronapandemie sei noch ungewiss?

Wir haben in unserer Unternehmung grossen Respekt vor der Pandemie. So wird bis heute Mitarbeitenden wie Externen beim Betreten unserer Unternehmung die Temperatur gemessen. Hygienemassnahmen sind hochgehalten. Und bei Arbeitssituationen, die die gültigen Distanzregeln nicht permanent gewährleisten, besteht eine Maskenpflicht. Dennoch haben wir während der ganzen Zeit gearbeitet. Wir sind keine Spezialisten auf dem Gebiet Pandemie und ob schlussendlich das Kinderfest durchgeführt werden soll oder nicht, hängt sicher von der dann vorliegenden Situation ab.

Flexibilität und entscheiden, ob das Kinderfest durchgeführt wird oder nicht, ist aber nichts Neues. Vielmehr ist auch das Teil der Tradition. So wird jeweils nur wenige Stunden vor dem Kinderfest entschieden, ob das Wetter wohl schön genug sein wird oder nicht. Und je nachdem wird dann das Kinderfest Stunden vor dem Festtag auf ein neues Datum verschoben. Ist an allen möglichen vorgesehenen Daten - so viele mögliche Daten im Sommer vor den Sommerferien sind dies gar nicht - das Wetter nicht gut, so kann es tatsächlich vorkommen, dass das Kinderfest schlussendlich ganz ausfällt im besagten Jahr.

Was heisst das konkret? Sprechen Sie sich persönlich für die Durchführung des Kinderfestes aus?

Das St.Galler Textilmuseum gab seiner Ausstellung zum Kinderfest vor nicht allzu langer Zeit den Titel «S'isch – S'isch nöd», welcher den flexiblen Charakter dieses Festes treffend zeigt. Schulen, Metzger, Eltern, Unternehmen und so weiter müssen jeweils im Kinderfestjahr viel Flexibilität zeigen und innert Stunden umdisponieren. Sich ständig in einem harten textilen Umfeld behaupten zu müssen, hat uns gelehrt, dass wir Gefahren ernst nehmen müssen, uns aber vor Herausforderungen nicht fürchten dürfen. Das Kinderfest jetzt schon abzusagen, mag auf der sicheren Seite sein, dafür bringt man aber drei Jahrgänge Schulkassen um ein Erlebnis, das später als Kindheitserinnerung und ein Stück Heimatsgefühl fehlen wird.

Und Sie und Ihre Branchenkollegen würden da auch aktiv mitziehen? Mit welchen Massnahmen und Angeboten?

Ja, natürlich. Wie gesagt unterstützen wir die Schulen mit Stickereien und Stoffe, welche bei uns in den Fabrikläden ausgesucht werden dürfen. Ebenso unterstützen wir, wenn es um Näharbeiten und Textiltechnik geht. Auch offerieren wir interessierten Schulklassen Führungen und einen Einblick in die moderne textile Welt. Die Idee ist, dass wir das Material und auch Hintergrundwissen stellen, die Kinder und die Lehrpersonen sind dann gefordert, selbst ein Konzept zu erstellen, selbst kreativ und aktiv zu werden, sich auszudrücken und zu gestalten. Ganz wie bei den grossen Couturiers. Die St.Galler Textiler bringen das Rüstzeug, die Couturiers ihre Kreativität und die Umsetzung ihrer Visionen.

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Autor/in
Stefan Millius

Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.

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