Vorbeifliegende Schweisstropfen von Joggern? Blasinstrumente als tödliche Waffen? Oder ist doch das Ohr die Schwachstelle unseres Körpers? Eine Studie jagt die andere. Und die Medien machen mit.
Das bleibt auch dem Laien nicht verborgen: Unsere Medien können ihre Aufgabe auf sehr unterschiedliche Art wahrnehmen. Sie können, etwas vulgär ausgedrückt, jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf treiben, um den Waschweibern am globalen Dorfbrunnen stets neuen Gesprächsstoff zu liefern. Oder sie könnten sich, Variante zwei, der Aussagen der dauerpräsenten Experten von gestern erinnern und diese mit der Realität von heute abgleichen. Zugegeben: Das setzt allerdings ein Minimum an Gedächtnis voraus.
Die erste Variante ist jene, die wir gerade jetzt überall antreffen, derweil wir von der etwas aufwendigeren Variante zwei so gut wie nichts sehen, obwohl sie zu mindestens ebenso spektakulären Ergebnissen führen würde. Weil die publizierten Voraussagen oft meilenweit an der Wirklichkeit vorbeizielen. Mit dem Kollateralschaden allerdings, dass wir den Experten nicht mehr alles glauben, was sie uns von ihrem wissenschaftlichen Podest herab verkünden.
Und so kommt es, dass wir jeden Tag mit neuen sensationellen, aber oft ziemlich abseitigen Studien konfrontiert werden. Wie jener, die untersucht, wie nahe wir zu einem schwitzenden Jogger aufschliessen müssen, um uns mit einem vorbeifliegenden Schweisstropfen anzustecken. Oder jener Studie, die untersucht, wie viele potenziell tödliche Keime ein Blasinstrument ausstösst, wenn es gespielt wird. Das zielt nicht zuletzt auf die ältere Generation, die eben erst die behördliche Erlaubnis erhalten hat, ihre Enkelkinder wieder kurz zu sehen. Aber, Achtung, besser nicht zuhören. Jedenfalls nicht, wenn die Kleinen sie mit einem Ständchen auf der Blockflöte erfreuen möchten. In Frage käme höchstens die Variante, dass die kleinen Musikanten während ihrer Darbietung eine Maske tragen.
Aber wer weiss, ob das wirklich sicher ist: Vielleicht belehrt uns bereits morgen eine neue Studie, dass das Virus in ganz besonderen Fällen auch schon durchs Ohr eingedrungen ist.
Gottlieb F. Höpli (* 1943) wuchs auf einem Bauernhof in Wängi (TG) auf. A-Matur an der Kantonssschule Frauenfeld. Studien der Germanistik, Publizistik und Sozialwissenschaften in Zürich und Berlin, Liz.arbeit über den Theaterkritiker Alfred Kerr.
1968-78 journalistische Lehr- und Wanderjahre für Schweizer und deutsche Blätter (u.a. Thurgauer Zeitung, St.Galler Tagblatt) und das Schweizer Fernsehen. 1978-1994 Inlandredaktor NZZ; 1994-2009 Chefredaktor St.Galler Tagblatt. Bücher u.a.: Heute kein Fussball … und andere Tagblatt-Texte gegen den Strom; wohnt in Teufen AR.
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