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Kunst und Provokation

Der Führer als Marketinginstrument

Es hat wieder mal einer mit Hitler provoziert. Mehr noch, es hat sogar funktioniert.

Severin Schwendener am 03. Mai 2018

Auch über siebzig Jahre nach seinem Ableben kann man mit Hitler noch provozieren. Leider. Immerhin wird wieder mal darüber diskutiert, was Kunst darf und was nicht.

Diesmal war es das Stadttheater Konstanz, das George Taboris Stück «Mein Kampf» gibt, eine Farce auf Adolf Hitlers Jahre in einem Männerwohnheim. Und weil sich dafür ausser einem eingefleischten Theaterpublikum keiner interessiert, haben die Macher die Provokationskeule geschwungen. Premiere war am 20. April, dem Geburtstag des Führers, und jeder, der sich bereit erklärte, ein Hakenkreuz zu tragen, kam da sogar gratis rein. Einen Davidstern hingegen sollte man tragen, wenn man eine normale Eintrittskarte kaufte.

Die Rechnung ging erwartungsgemäss auf. Entrüstung allenthalben, New York Times und BBC berichteten, der Konstanzer Bürgermeister sah sich zu einer empörten Stellungnahme genötigt, mehrere Anzeigen gingen bei der Staatsanwaltschaft ein. Aus Marketingsicht ein geradezu traumhaftes Verhältnis von Aufwand und Ertrag, keine Plakat- oder Werbespotkampagne hätte auch nur annähernd solche Aufmerksamkeit erzielt. Dass das Stadttheater ob des Sturms der Entrüstung leicht zurückkrebste und das Tragen des Davidsterns für freiwillig erklärte, spielte da schon keine Rolle mehr. Wie auch die scheinheilig nachgereichte Erklärung, man habe mit der Aktion zeigen wollen, wie leicht bestechlich Menschen seien. Zum Erwerb dieser tiefschürfenden Erkenntnis reicht ein Blick in jedwede Tageszeitung, ins persönliche Umfeld oder in jenes elektronische Device, das man früher Glotze nannte.

Man könnte die Episode zum Anlass nehmen, darüber zu diskutieren, was Kunst darf und was nicht. Sie darf alles, muss da die Antwort heissen. Denn wo käme man hin, wenn die Politik oder der Rechtsstaat bestimmten, was Kunst sein darf. Schliesslich muss die Kunst genau diese Politik und diesen Rechtsstaat hinterfragen, kritisieren, herausfordern. Man denke nur – da ist er wieder! – an Hitlers Konzept der «entarteten Kunst» oder an Diskussionen aus der Türkei oder jedem anderen zweifelhaften Rechtsstaat darüber, was nationale Kunst sei oder eben nicht. Eine Ansicht, die auch die Konstanzer Staatsanwaltschaft vertritt: Die Aktion des Stadttheaters sei durch die Kunstfreiheit geschützt, teilte sie mit.

Sind also all jene, die Klagen eingereicht haben, ignorante Mimosen, die den Kern der Kunst nicht verstanden haben? Mitnichten. Sie nehmen nämlich ein anderes, absolut zentrales Bürgerrecht wahr. Sie forden Rechtsgleichheit ein. Weil sie nicht verstehen, wieso ein Theater zum Tragen des Hakenkreuzes auffordern darf, während jeder Private vor Gericht landet, der im Bus die Hand zum Führergruss hebt. Denn so wie es die Kunst mit ihrer absoluten Freiheit braucht, um eine Gesellschaft weiterzuentwickeln, so braucht es den Rechtsstaat, um diese Gesellschaft im Hier und Jetzt zusammenzuhalten.

Leider muss jedoch davon ausgegangen, dass auch diese Diskussion nicht im Fokus des Interesses stand, als man in Konstanz die Idee der Hakenkreuzaktion gebar. Vielmehr dürften es leere Theaterränge gewesen sein, die man zu füllen gedachte; es dürfte um Aufmerksamkeit in einer reizüberfluteteten Welt gegangen sein, und damit letztlich um Profilierung und schnöden Mammon. Dass man dazu einen exhumiert, der längst auf der Sondermülldeponie der Geschichte verrottet, lässt tiefer blicken, als man sehen möchte.

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Autor/in
Severin Schwendener

Severin Schwendener (*1983) hat Biologie studiert. Er ist seit seiner Schulzeit schriftstellerisch aktiv und hat mehrere Kriminalromane für Erwachsene und Jugendliche veröffentlicht.

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