Grosssaufgebot der Polizei mit Reizgas in Altdorf, 30 Tage Wegweisung in St.Gallen: Die Massnahmen der Behörden werfen auch bei Experten Fragen auf. Ein Staatsrechtsprofessor hinterfragt das Vorgehen der St.Galler Stadtpolizei.
Als die St.Galler Stadtpolizei am Ostersonntag 650 Personen für 30 Tage aus der Stadt verwies, haben wir die Massnahme hinterfragt, vor allem in dieser Dimension. Danach zeigte sich ein Graben: Selbst Leute, die der aktuellen Massnahmenpolitik kritisch gegenüberstehen, befanden plötzlich, zum Schutz der Stadt vor weiteren Krawallen sei das harte Durchgreifen gerechtfertigt.
Nur: Das sehen selbst ausgewiesene Experten nicht so. Der Staatsrechtsprofessor Daniel Moeckli beurteilte das Vorgehen der Stadtpolizei in St.Gallen in einem Beitrag in der NZZ. Er befand, dass Wegweisungen grundsätzlich ein geeignetes Mittel seien, um die öffentliche Sicherheit zu schützen. Aber er hat grosse Fragezeichen, was die konkrete Umsetzung in St.Gallen angeht.
Moeckli weist darauf hin – wie wir es auch schon mehrfach getan haben –, dass die 30 Tage Wegweisung die maximale Dauer sind, die das Recht zu lässt. Das scheine ihm «sehr lange zu sein», sagt der Staatsrechtsprofessor. Zu erwähnen ist, dass er sich laut dem NZZ-Beitrag im Rahmen seiner Forschungstätigkeit mit diesem Thema explizit befasst hat.
Meistens würden 24 Stunden ausgesprochen, so Moeckli. Die 30 Tage könnten für ihn Sinn machen, wenn es sich um Personen gehandelt habe, die bereits früher von der Stadtpolizei St.Gallen aufgegriffen wurden, also quasi um Wiederholungstäter. Er bezweifelt aber, dass es sich bei allen 650 Fällen um solche Leute gehandelt hat.
Ebenfalls verwundert ist der Professor über die Wegweisung aus dem ganzen Stadtgebiet. Mehr Sinn würde es für ihn machen, wenn das Verbot für die Innenstadt gelte, aber nicht für die Aussenquartiere. Denn die Gefahr von Ausschreitungen sei im Zentrum am grössten. Die Stadt Zürich handhabt es beispielsweise bei Krawallen rund um Fussballspiele mit solchen «Rayonverboten», also der Wegweisung aus einer bestimmten Zone, aber nicht gleich aus der ganzen Stadt.
Moeckli tönt auch an, dass es durchaus von Erfolg gekrönt sein könnte, wenn man sich gegen die Wegweisung wehre. Vor allem in der zweiten Instanz. Wenn das kantonale Sicherheits- und Justizdepartement den Entscheid der Stadtpolizei zurücknehme, dann möglicherweise die nächste Stufe, das Verwaltungsgericht. Immer wieder entscheide dieses zugunsten der Beschwerdeführer, was Dauer und räumlichen Umfang der Wegweisung angehe. Denn es gehe hier um Grundrechte, und da müsse die Massnahme im Einzelfall «geeignet und erforderlich sein, um das anvisierte Ziel zu erreichen.»
Das heisst: Um 30 Tage Verbannung aus der ganzen Stadt St.Gallen aufrecht zu erhalten, müsste belegt sein, dass eine Person einen Monat lang auf dem ganzen Stadtgebiet eine Gefahr darstellt. Da darf man gespannt sein.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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