Mit der Marke MBT, die er vor einigen Jahren verkauft hat, hat Karl Müller bewiesen, dass sich der Schuhmarkt neu erfinden lässt. Nun wollen er und sein Sohn zeigen, dass sich auch mit einer fast 100 Jahre alten Traditionsmarke einiges anstellen lässt.
Seit 1932 gibt es «Kandahar». Der Hersteller von wintertauglichen Schuhen produziert in guten Jahren rund 15'000 Paar. Das ist ein Klacks zu grossen Schuhherstellern, aber das ist durchaus gewollt. Das saisonale Produkt ist hochpreisig und wollte nie den Massenmarkt erobern. Dafür konnte man in der Firmengeschichte auf berühmte Botschafter verweisen, die Kandahar trugen, beispielsweise Charlie Chaplin.
Nachfolge gesucht
Allerdings: Die Winter werden wärmer, die Coronamassnahmen haben vieles erschwert, vor wenigen Wochen war die Produktion im Berner Oberland von einem Hochwasser betroffen. Das alles hatte Auswirkungen auf die Verkaufszahlen, und Firmeninhaber Manuel von Allmen wurde klar, dass es langfristig schwer sein würde, alleine zu bestehen. Er sah sich nach einer Nachfolgelösung um und hat sie nun gefunden.
Und es ist eine ziemlich schillernde Lösung. Karl Müller, der einst den Schuhmarkt mit der Marke MBT revolutionierte, die er danach verkaufte, ist heute in Sennwald in der Ostschweiz mit «Kybun» erfolgreich; die Marke ist unter anderem Namensgeberin des Stadions des FC St.Gallen. Mit seinem Sohn – im internen Sprachgebrauch sind es Karl Müller III. und Karl Müller IV. – ist längst die nächste Generation mit an Bord und plant die Zukunft. Die beiden suchten das Gespräch mit von Allmen, nun ist alles in trockenen Tüchern: Die Kandahar-Schuhe werden künftig in Sennwald produziert, sie bleiben damit «made in Switzerland»
Es musste die Schweiz sein
Das war dem bisherigen Besitzer wichtig. Es gab mehrere Interessenten, darunter eine chinesische Unternehmensgruppe, was für von Allmen nicht in Frage kam – er wollte, dass Kandahar weiter in der Schweiz hergestellt wird. Warum aber fiel die Wahl auf die Unternehmerfamilie Müller in Sennwald? «Uns wurde gesagt, ein wichtiger Grund sei, dass wir schon mit mehreren Marken bewiesen haben, dass wir Erfahrung mit Nischenprodukten haben», sagt Karl Müller IV. Auch menschlich habe es sofort gepasst, über einzelne Vertragsparameter habe man gar nicht lange sprechen müssen. «Von Allmen wollte Kandahar in der Schweiz behalten und Kontinuität garantiert wissen, und das können wir bieten.»
Karl Müller und sein Sohn sind durch ihre früheren unternehmerischen Aktivitäten dafür bekannt, dass sie Perfektion anstreben. Den Markt mit billigen Produkten zu überziehen ist nicht ihre Sache. Auch deshalb passe Kandahar gut ins Portfolio, sagt Karl Müller IV.; «Die Marke hat über Jahrzehnte bewiesen, dass sie eine eigene DNA hat, sie hat eine Fangemeinde und einen Kult um die Produkte aufgebaut.» Diese DNA wolle man weiterführen.
Ein Schuss Kybun in Kandahar
In einer ersten Phase soll sich deshalb nicht viel verändern. Doch früher oder später werde das Knowhow der unterschiedlichen Marken zusammenfliessen, wie Karl Müller III. sagt. «Wir beginnen mit dem, was da ist, auch um die bestehenden Kandahar-Kunden nicht auf dem falschen Fuss zu erwischen. Aber wir können uns vorstellen, in ein bis zwei Jahren unser Wissen rund um Gesundheitssohlen auch in diese Marke zu integrieren und dann zu schauen, wie der Markt reagiert.»
Der Seniorchef gibt auch offen zu, dass er das «Abenteuer Kandahar» nicht im Alleingang eingegangen wäre. Dass sein Sohn von der Marke und der Herausforderung fasziniert war, überzeugte ihn aber schliesslich. Mit ihm sei gesichert, dass die Erfolgsgeschichte weitergeschrieben werden könne.
Ein gutes Argument für die Firmenübernahme war auch die Tatsache, dass die Produktionsstätten in Sennwald im St.Galler Rheintal sehr grosszügig dimensioniert sind, aktuell sind sie nur zu etwa 20 Prozent ausgelastet. Er sei damals hierhergekommen, um über Generationen etwas aufzubauen, sagt Karl Müller III. «Wir könnten hier drei bis vier Millionen Paar Schuhe produzieren, und die Erhöhung der Auslastung durch Kandahar erhöht natürlich unsere Wirtschaftlichkeit.»
Das Hochpreisland kann funktionieren
Geplant ist, das neue Produkt mit einem erhöhten Automatisierungsgrad herzustellen, um die Kosten zu reduzieren. Dennoch bleibt «made in Switzerland» ein teurer Spass, wie auch Karl Müller III. zugibt. Er glaube aber an diese Philosophie. «Wir sehen bei Marken wie Victorinox oder Swatch, dass es möglich ist, in der Schweiz zu produzieren, wenn man mit Herzblut dabei ist.»
Müller hat einst in China, Vietnam und Korea grosse Mengen von bis zu zwei Millionen Paar Schuhen pro Jahr produziert, bevor er sich entschied, seine Aktivitäten ganz in die Schweiz zu verlagern. Damals schüttelten viele den Kopf über diesen Schritt, das Hochpreisland Schweiz eignete sich aus ihrer Sicht nicht für die industrielle Produktion im Textilbereich. Bisher hat die Familie Müller die Zweifler widerlegt. Und deshalb sei das jüngste Risiko kalkulierbar: «Verglichen mit dem damaligen Schritt ist es im Grunde ein Klacks, nun einfach noch eine weitere Marke dazu zu nehmen.»
Angepeilt wird der Weltmarkt
Allerdings will die Unternehmerfamilie Müller das angetretene Erbe nicht einfach verwalten, sondern ausbauen. In einer ersten Phase werde man mit dem bestehenden Fachhandel das Gespräch suchen, langfristig gehe es darum, den Markt auszuweiten. Statt nur in der Schweiz, Deutschland und Österreich präsent zu sein, wird dann die Welt das Ziel sein. «Warum nicht in den arabischen Markt vordringen, wo viel exklusive Kundschaft mit einem Zweitwohnsitz in der Schweiz lebt?», fragt Karl Müller IV. rhetorisch. Auch China oder Russland seien mögliche Märkte, «einfach überall, wo es kalt werden kann und zuverlässige Schweizer Schuhe gefragt sind.»
Für Karl Müller III., der einst mit MBT der Schweiz als Schuhproduzentin neuen Wind verschafft hat, ist die Akquisition mehr als ein einfacher Firmenzukauf. «Der Ausverkauf der Schweizer Marken ist in vollem Gang, wir haben bald nur noch Bürojobs in unserem Land, kaum mehr klassische Industrie.» Er wolle den umgekehrten Weg gehen, «und das ist mein Hauptantrieb.»
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.