logo

Traditionsmarke übernommen

Die Kybun-Erfinder machen weiter: Das haben sie mit «Kandahar» vor

Mit der Marke MBT, die er vor einigen Jahren verkauft hat, hat Karl Müller bewiesen, dass sich der Schuhmarkt neu erfinden lässt. Nun wollen er und sein Sohn zeigen, dass sich auch mit einer fast 100 Jahre alten Traditionsmarke einiges anstellen lässt.

Stefan Millius am 30. August 2021

Seit 1932 gibt es «Kandahar». Der Hersteller von wintertauglichen Schuhen produziert in guten Jahren rund 15'000 Paar. Das ist ein Klacks zu grossen Schuhherstellern, aber das ist durchaus gewollt. Das saisonale Produkt ist hochpreisig und wollte nie den Massenmarkt erobern. Dafür konnte man in der Firmengeschichte auf berühmte Botschafter verweisen, die Kandahar trugen, beispielsweise Charlie Chaplin.

Nachfolge gesucht

Allerdings: Die Winter werden wärmer, die Coronamassnahmen haben vieles erschwert, vor wenigen Wochen war die Produktion im Berner Oberland von einem Hochwasser betroffen. Das alles hatte Auswirkungen auf die Verkaufszahlen, und Firmeninhaber Manuel von Allmen wurde klar, dass es langfristig schwer sein würde, alleine zu bestehen. Er sah sich nach einer Nachfolgelösung um und hat sie nun gefunden.

Und es ist eine ziemlich schillernde Lösung. Karl Müller, der einst den Schuhmarkt mit der Marke MBT revolutionierte, die er danach verkaufte, ist heute in Sennwald in der Ostschweiz mit «Kybun» erfolgreich; die Marke ist unter anderem Namensgeberin des Stadions des FC St.Gallen. Mit seinem Sohn – im internen Sprachgebrauch sind es Karl Müller III. und Karl Müller IV. – ist längst die nächste Generation mit an Bord und plant die Zukunft. Die beiden suchten das Gespräch mit von Allmen, nun ist alles in trockenen Tüchern: Die Kandahar-Schuhe werden künftig in Sennwald produziert, sie bleiben damit «made in Switzerland»

Es musste die Schweiz sein

Das war dem bisherigen Besitzer wichtig. Es gab mehrere Interessenten, darunter eine chinesische Unternehmensgruppe, was für von Allmen nicht in Frage kam – er wollte, dass Kandahar weiter in der Schweiz hergestellt wird. Warum aber fiel die Wahl auf die Unternehmerfamilie Müller in Sennwald? «Uns wurde gesagt, ein wichtiger Grund sei, dass wir schon mit mehreren Marken bewiesen haben, dass wir Erfahrung mit Nischenprodukten haben», sagt Karl Müller IV. Auch menschlich habe es sofort gepasst, über einzelne Vertragsparameter habe man gar nicht lange sprechen müssen. «Von Allmen wollte Kandahar in der Schweiz behalten und Kontinuität garantiert wissen, und das können wir bieten.»

Karl Müller und sein Sohn sind durch ihre früheren unternehmerischen Aktivitäten dafür bekannt, dass sie Perfektion anstreben. Den Markt mit billigen Produkten zu überziehen ist nicht ihre Sache. Auch deshalb passe Kandahar gut ins Portfolio, sagt Karl Müller IV.; «Die Marke hat über Jahrzehnte bewiesen, dass sie eine eigene DNA hat, sie hat eine Fangemeinde und einen Kult um die Produkte aufgebaut.» Diese DNA wolle man weiterführen.

Ein Schuss Kybun in Kandahar

In einer ersten Phase soll sich deshalb nicht viel verändern. Doch früher oder später werde das Knowhow der unterschiedlichen Marken zusammenfliessen, wie Karl Müller III. sagt. «Wir beginnen mit dem, was da ist, auch um die bestehenden Kandahar-Kunden nicht auf dem falschen Fuss zu erwischen. Aber wir können uns vorstellen, in ein bis zwei Jahren unser Wissen rund um Gesundheitssohlen auch in diese Marke zu integrieren und dann zu schauen, wie der Markt reagiert.»

Der Seniorchef gibt auch offen zu, dass er das «Abenteuer Kandahar» nicht im Alleingang eingegangen wäre. Dass sein Sohn von der Marke und der Herausforderung fasziniert war, überzeugte ihn aber schliesslich. Mit ihm sei gesichert, dass die Erfolgsgeschichte weitergeschrieben werden könne.

Ein gutes Argument für die Firmenübernahme war auch die Tatsache, dass die Produktionsstätten in Sennwald im St.Galler Rheintal sehr grosszügig dimensioniert sind, aktuell sind sie nur zu etwa 20 Prozent ausgelastet. Er sei damals hierhergekommen, um über Generationen etwas aufzubauen, sagt Karl Müller III. «Wir könnten hier drei bis vier Millionen Paar Schuhe produzieren, und die Erhöhung der Auslastung durch Kandahar erhöht natürlich unsere Wirtschaftlichkeit.»

Das Hochpreisland kann funktionieren

Geplant ist, das neue Produkt mit einem erhöhten Automatisierungsgrad herzustellen, um die Kosten zu reduzieren. Dennoch bleibt «made in Switzerland» ein teurer Spass, wie auch Karl Müller III. zugibt. Er glaube aber an diese Philosophie. «Wir sehen bei Marken wie Victorinox oder Swatch, dass es möglich ist, in der Schweiz zu produzieren, wenn man mit Herzblut dabei ist.»

Müller hat einst in China, Vietnam und Korea grosse Mengen von bis zu zwei Millionen Paar Schuhen pro Jahr produziert, bevor er sich entschied, seine Aktivitäten ganz in die Schweiz zu verlagern. Damals schüttelten viele den Kopf über diesen Schritt, das Hochpreisland Schweiz eignete sich aus ihrer Sicht nicht für die industrielle Produktion im Textilbereich. Bisher hat die Familie Müller die Zweifler widerlegt. Und deshalb sei das jüngste Risiko kalkulierbar: «Verglichen mit dem damaligen Schritt ist es im Grunde ein Klacks, nun einfach noch eine weitere Marke dazu zu nehmen.»

Angepeilt wird der Weltmarkt

Allerdings will die Unternehmerfamilie Müller das angetretene Erbe nicht einfach verwalten, sondern ausbauen. In einer ersten Phase werde man mit dem bestehenden Fachhandel das Gespräch suchen, langfristig gehe es darum, den Markt auszuweiten. Statt nur in der Schweiz, Deutschland und Österreich präsent zu sein, wird dann die Welt das Ziel sein. «Warum nicht in den arabischen Markt vordringen, wo viel exklusive Kundschaft mit einem Zweitwohnsitz in der Schweiz lebt?», fragt Karl Müller IV. rhetorisch. Auch China oder Russland seien mögliche Märkte, «einfach überall, wo es kalt werden kann und zuverlässige Schweizer Schuhe gefragt sind.»

Für Karl Müller III., der einst mit MBT der Schweiz als Schuhproduzentin neuen Wind verschafft hat, ist die Akquisition mehr als ein einfacher Firmenzukauf. «Der Ausverkauf der Schweizer Marken ist in vollem Gang, wir haben bald nur noch Bürojobs in unserem Land, kaum mehr klassische Industrie.» Er wolle den umgekehrten Weg gehen, «und das ist mein Hauptantrieb.»

Einige Highlights

Uzwilerin mit begrenzter Lebenserwartung

Das Schicksal von Beatrice Weiss: «Ohne Selbstschutz kann die Menschheit richtig grässlich sein»

am 11. Mär 2024
Im Gespräch mit Martina Hingis

«…und das als Frau. Und man verdient auch noch Geld damit»

am 19. Jun 2022
Das grosse Gespräch

Bauernpräsident Ritter: «Es gibt sicher auch schöne Journalisten»

am 15. Jun 2024
Eine Analyse zur aktuellen Lage

Die Schweiz am Abgrund? Wie steigende Fixkosten das Haushaltbudget durcheinanderwirbeln

am 04. Apr 2024
DG: DG: Politik

«Die» Wirtschaft gibt es nicht

am 03. Sep 2024
Gastkommentar

Kein Asyl- und Bleiberecht für Kriminelle: Null-Toleranz-Strategie zur Sicherheit der Schweiz

am 18. Jul 2024
Gastkommentar

Falsche Berechnungen zu den AHV-Finanzen: Soll die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt werden?

am 15. Aug 2024
Gastkommentar

Grenze schützen – illegale Migration verhindern

am 17. Jul 2024
Sensibilisierung ja, aber…

Nach Entführungsversuchen in der Ostschweiz: Wie Facebook und Eltern die Polizeiarbeit erschweren können

am 05. Jul 2024
Pitbull vs. Malteser

Nach dem tödlichen Übergriff auf einen Pitbull in St.Gallen: Welche Folgen hat die Selbstjustiz?

am 26. Jun 2024
Politik mit Tarnkappe

Sie wollen die angebliche Unterwanderung der Gesellschaft in der Ostschweiz verhindern

am 24. Jun 2024
Paralympische Spiele in Paris Ende August

Para-Rollstuhlfahrerin Catherine Debrunner sagt: «Für ein reiches Land hinkt die Schweiz in vielen Bereichen noch weit hinterher»

am 24. Jun 2024
Politik extrem

Paradox: Mit Gewaltrhetorik für eine humanere Gesellschaft

am 10. Jun 2024
Das grosse Bundesratsinterview zur Schuldenbremse

«Rechtswidrig und teuer»: Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnt Parlament vor Verfassungsbruch

am 27. Mai 2024
Eindrucksvolle Ausbildung

Der Gossauer Nicola Damann würde als Gardist für den Papst sein Leben riskieren: «Unser Heiliger Vater schätzt unsere Arbeit sehr»

am 24. Mai 2024
Zahlen am Beispiel Thurgau

Asylchaos im Durchschnittskanton

am 29. Apr 2024
Interview mit dem St.Galler SP-Regierungsrat

Fredy Fässler: «Ja, ich trage einige Geheimnisse mit mir herum»

am 01. Mai 2024
Nach frühem Rücktritt: Wird man zur «lame duck»?

Exklusivinterview mit Regierungsrat Kölliker: «Der Krebs hat mir aufgezeigt, dass die Situation nicht gesund ist»

am 29. Feb 2024
Die Säntis-Vermarktung

Jakob Gülünay: Weshalb die Ostschweiz mehr zusammenarbeiten sollte und ob dereinst Massen von Chinesen auf dem Säntis sind

am 20. Apr 2024
Neues Buch «Nichts gegen eine Million»

Die Ostschweizerin ist einem perfiden Online-Betrug zum Opfer gefallen – und verlor dabei fast eine Million Franken

am 08. Apr 2024
Gastkommentar

Weltweite Zunahme der Christenverfolgung

am 29. Mär 2024
Aktionswoche bis 17. März

Michel Sutter war abhängig und kriminell: «Ich wollte ein netter Einbrecher sein und klaute nie aus Privathäusern»

am 12. Mär 2024
Teuerung und Armut

Familienvater in Geldnot: «Wir können einige Tage fasten, doch die Angst vor offenen Rechnungen ist am schlimmsten»

am 24. Feb 2024
Naomi Eigenmann

Sexueller Missbrauch: Wie diese Rheintalerin ihr Erlebtes verarbeitet und anderen Opfern helfen will

am 02. Dez 2023
Best of 2023 | Meine Person des Jahres

Die heilige Franziska?

am 26. Dez 2023
Treffen mit Publizist Konrad Hummler

«Das Verschwinden des ‘Nebelspalters’ wäre für einige Journalisten das Schönste, was passieren könnte»

am 14. Sep 2023
Neurofeedback-Therapeutin Anja Hussong

«Eine Hirnhälfte in den Händen zu halten, ist ein sehr besonderes Gefühl»

am 03. Nov 2023
Die 20-jährige Alina Granwehr

Die Spitze im Visier - Wird diese Tennisspielerin dereinst so erfolgreich wie Martina Hingis?

am 05. Okt 2023
Podcast mit Stephanie Stadelmann

«Es ging lange, bis ich das Lachen wieder gefunden habe»

am 22. Dez 2022
Playboy-Model Salomé Lüthy

«Mein Freund steht zu 100% hinter mir»

am 09. Nov 2022
Neue Formen des Zusammenlebens

Architektin Regula Geisser: «Der Mensch wäre eigentlich für Mehrfamilienhäuser geschaffen»

am 01. Jan 2024
Podcast mit Marco Schwinger

Der Kampf zurück ins Leben

am 14. Nov 2022
Hanspeter Krüsi im Podcast

«In meinem Beruf gibt es leider nicht viele freudige Ereignisse»

am 12. Okt 2022
Stölzle /  Brányik
Autor/in
Stefan Millius

Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.