Ist das nicht Marco Rima mit Hakennase, Buckel und irre-gierigem Blick? Eine Karikatur, die sich der stereotypen Stilmittel antisemitischer Propaganda bedient. Es ist der vorläufige Höhepunkt einer medialen Hetze gegen die Ungeimpften, die sich in den letzten Wochen immer weiter hochschaukelt.
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Zu finden ist die Karikatur am 5. September 2021 im Blick in einem Beitrag unter dem Titel «Das sind die fünf Typen der Impfverweigerer». Der Marco-Rima-Typ wird als «der Freak» vorgestellt und mit Attributen wie «völkisch denkend», «radikalisiert», «halluzinogene Spätfolgen», «pathologisch» und «Wutbürger» bedacht.
Was bringt eine Zeitung wie den Blick dazu, solchem Hass freien Lauf zu lassen und die Spaltung der Gesellschaft weiter voranzutreiben? Vermutlich die Überzeugung, für das Gute und gegen das Böse zu kämpfen. Genau von dieser Überzeugung lebt die Propaganda in totalitären Systemen – je böser der zu bekämpfende Feind ist, desto leichter lassen sich harte Mittel zur Bekämpfung legitimieren – und es ist beunruhigend, dass diese Propagandamittel in vielen Leitmedien der Schweiz immer mehr Einzug halten.
Dass dies nicht aus dem Nichts kommt, sondern der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung ist, lässt sich an den letzten Wochen rekonstruieren. Lange haben die Medien an den wöchentlich stattfindenden Demos auf Vorfälle gewartet, mit denen das Feindbild der gewaltbereiten Regierungskritiker bedient werden könnte. Nachdem am 21. August die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli bei der Einweihung eines Impfbusses von einem mit ihrer Politik offensichtlich unzufriedenen Bürger mit Apfelsaft übergossen wird, kann es losgehen: Die «Gewaltbereitschaft von Impfskeptikern und Massnahmengegnern» nehme zu, behauptet der Blick am 26. August und nennt als Beweis dafür «die Apfelschorle-Attacke auf Natalie Rickli». Zur medialen Hetze gehört es natürlich zu allererst die Pauschalisierung, die aus dem Einzelfall auf alle schliesst.
Bundesrat Alain Berset nimmt diese Stimmung dankbar auf und lässt sich am 27. August medienwirksam von der Anti-Terror-Einheit «Skorpion» in die Arena begleiten, in der er sich den kritischen Fragen aus der Bevölkerung stellt. Der Blick spricht von einem «Hochrisiko-Auftritt in der SRF-Arena». Nachdem auch noch der Nachrichtendienst des Bundes am 28. August gegenüber der NZZaS bemerkt, Impfzentren seien realistische Ziele eines terroristischen Anschlags – wobei er von Islamisten spricht –, titelt 20min in Übereinstimmung mit mehreren anderen Tageszeitungen am 29. August: «Durch Impfgegner und Islamisten: NDB hält Anschläge auf Impfzentren für wahrscheinlich». Obwohl der NDB nicht von Impfgegnern gesprochen hat, rückt 20min diese in der Schlagzeile sogar noch vor die Islamisten. Begründung? Keine.
Hubert Mooser fragt ebenfalls am 29. August in weltwoche-daily: «Gesundheitsminister Berset lässt sich von einer Anti-Terror-Einheit zur ‘Arena’ begleiten: Gelten Impf-Gegner bereits als Terroristen?» Diverse andere Medien haben diese Frage am gleichen Tag praktisch bereits bejaht. Moosers Fazit: «Wie man aus politischen Kontrahenten gewaltbereite Extremisten macht, kannte man bisher nur aus Ländern wie zum Beispiel Weissrussland».
Wenn die Medien über Ungeimpfte schreiben, haben sie es also mit potentiellen Terroristen, mit gewaltbereiten Extremisten zu tun. Kaum anders lässt sich der Leitartikel der SonntagsZeitung vom 15. August deuten. Titel: «Jetzt muss Berset die Gegner endlich zur Impfung zwingen». Mehr verbale Gewalt ist fast nicht mehr möglich. Die Ungeimpften werden offen als «Gegner» bezeichnet, die «gezwungen» werden müssen. Mit welchen Mitteln denn? Der Autor Denis von Burg schreibt: «Der Bundesrat und die Kantone müssen jetzt jeden erdenklichen Druck auf Impfverweigerer machen. Das Tabu Impfzwang, sei er direkt oder auch nur indirekt, muss jetzt fallen». In einem offenen Brief fragt Michael Bubendorf, Mediensprecher der Freunde der Verfassung, am 1. September: «Herr von Burg, was bedeutet ‘Jeder erdenkliche Druck’?» Wie weit ist Denis von Burg zu gehen bereit? Wo endet das Erdenkliche und beginnt das Unerdenkliche?
Die Online-Zeitung nau betitelt am 27. August angekündigte Demonstrationen in Brig und Schaffhausen als «Corona-Aufstände». Wikipedia definiert einen Aufstand folgendermassen: «Ein Aufstand, teils auch Volksaufstand, Rebellion oder Insurrektion genannt, ist im engeren Sinne ein offener, gewaltsamer Widerstand mehrerer Personen gegen eine Staatsgewalt. Dies bedeutet fallweise eine bewaffnete Widerstandsaktion gegen eine bestehende Regierung; Vorform eines Aufstandes sind oft Straßenschlachten in Regierungs- und Bevölkerungszentren.»
Nehmen wir ein letztes Beispiel, dieses Mal aus dem Editorial vom SonntagsBlick und zwar vom Chefredaktor höchstpersönlich. Es erscheint unter dem Titel: «Die Impfgegner machen mit dem Virus gemeinsame Sache». Jetzt sind Impfgegner also Kollaborateure des Virus. Im Krieg, in dem wir uns befinden, arbeiten sie mit denen zusammen, die uns töten wollen: mit den Corona-Viren.
Das ist also die Stimmung, die derzeit breit in den grossen Medien geschürt wird, auch in solchen, die hier nicht durch Beispiele genannt worden sind. Gemeinsam ist ihnen: Sie benutzen Kriegsrhetorik, pauschalisieren den Einzelfall, unterstellen böse oder pathologische Motive und fordern zu konsequentem Handeln gegen diese Gegner auf. Kein Wunder, fällt dem Blick für seine Karikatur nichts anderes mehr ein, als antisemitische Stereotype, um den schlimmsten aller Gegner zu karikieren: Den völkisch denkenden, radikalisierten, pathologischen Wutbürger mit halluzinogenen Spätfolgen, kurz: den Freak, der zufällig aussieht wie eine Mischung aus Marco Rima und einer antisemitischen Karikatur.
Wie soll es weitergehen? Wohin wollen die Medien, die einen solchen Stil praktizieren, mit unserer Gesellschaft? Als erschrockener Bürger kann ich ihnen nur zurufen: Stoppt die mediale Hetze!
Dr. Benjamin Kilchör (*1984) ist evangelischer Theologe und Professor für Altes Testament an der Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule Basel.
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