Die ganze Ostschweiz ruft nach einer Vertretung unserer Region im Bundesrat. Doch wie glücklich wurden wir eigentlich mit den letzten Bundesräten aus der Ostschweiz? Eine Übersicht zeigt: Spuren haben alle hinterlassen.
Seltsam genug: Jede Region wünscht sich eine Vertretung im Bundesrat, aber bekanntermassen muss man in diesem Amt die regionalen Interessen beiseite legen und im Sinn des ganzen Landes handeln. Nach wie versprechen sich die Landesteile aber offenbar doch Vorteile, wenn sie dabei sind. Und sei es auch nur die Wahrnehmung auf höchster Ebene.
Seit dem Rücktritt von Hans-Rudolf Merz im Jahr 2010 ist die «Kernostschweiz» mit St.Gallen, Thurgau und beiden Appenzell nicht mehr in der Landesregierung vertreten. Diese «Auszeit» ist vielen bereits zu lang. Wer aber nach einem Ostschweizer Bundesrat - oder einer Bundesrätin - ruft, muss sich die Frage stellen: Was haben die letzten «Exemplare dieser Gattung» gebracht? Die Antwort: Unterschiedlich viel - aber eher überdurchschnittlich viel.
Der Staatsmann: Kurt Furgler
Der Ur-Stadtsanktgaller Kurt Furgler sass von 1972 bis 1986 im Bundesrat und präsidierte diesen drei Mal. «Sass» ist vielleicht das falsche Wort. Das «Müüli», wie Furgler aufgrund seiner markanten Mundstellung bei seinen rhetorischen Höhenflügen genannt wurde, sass im Amt nicht still. Er wirbelte und wirkte. Und wenn er auch aus einer früheren politischen Zeit stammte und aus heutiger Sicht als Konservativer von altem Schrot und Korn gelten mag: Ein reiner Ideologe war der CVP-Mann nicht.
Zwar gab es Fragen, in denen er das «C» seiner Partei gnadenlos lebte. Aber er blieb nicht in der Zeit stehen. Die Reformation des Familienrechts geht auf ihn zurück, er setzte sich für den Verfassungsartikel zur Gleichstellung von Frau und Mann ein. Seine letzten Jahre im Amt verliefen parallel zum langsamen Niedergang des «Eisernen Vorhangs», und Furgler stand 1985 als Bundespräsident kurz im Zentrum der Ereignisse, als sich Ronald Reagan und Michail Gorbatschow in Genf zu einem Gipfelgespräch trafen.
Das Amt des Bundesrats wie auch das ganze Land haben sich gewandelt, es ist schwer vorstellbar, dass heute noch eine einzelne Person die Landesregierung als Persönlichkeit so prägt, wie Kurt Furgler das getan hat. Aber Tatsache ist: Wer ehemalige Bundesräte aufzählt, dem wird sein Name als einer der ersten einfallen - über die Ostschweiz hinaus.
Der Professor: Arnold Koller
Nach ihm ist (inoffiziell) ein Gesetz benannt: Die Lex Koller, mit der der Erwerb von Grundstücken durch Ausländer begrenzt wurde. Ein Vorhaben, das er noch in seiner Zeit als Nationalrat eingebracht hatte und das dann zunächst von seinem Amtsvorgänger Kurt Furgler entgegengenommen wurde (weshalb es kurzzeitig auch als Lex Furgler bekannt war).
Koller, von 1987 bis 1999 im Bundesrat, war ein Vollblutjurist. Zwei Jahre musste er sich mit dem Militär herumschlagen, bevor er ins Justiz- und Polizeidepartement wechseln konnte, wo er auch hingehörte. Der frühere Professor an der Hochschule St.Gallen konnte das Dozierende nie ganz ablegen, und im Gegensatz zu Furgler war er vermutlich kein Vollblutpolitiker, sondern ein in die Politik geratener Jus-Professor.
Und das war vermutlich auch seine Qualität. Er suchte den Kompromiss, nicht den Konflikt. Das ist gerade bei einem Mammutprojekt wie der Totalrevision der Bundesverfassung, die unter seiner Führung vollzogen wurde, eine Notwendigkeit. Wer sich im Bundeshaus umhört unter Parlamentariern, die damals schon aktiv waren, wird auf viel Respekt Koller gegenüber stossen. Und auch er hat Spuren hinterlassen, die bis heute sichtbar sind.
Die Märtyrerin: Ruth-Metzler
Es ist vergleichbar mit einem Fussballspieler, der nach einer Viertelstunde verletzt vom Platz gehen muss: Seine Leistung kann man nicht beurteilen. Bei Ruth-Metzler, der (Wahl-)Innerrhoderin, die auf den Innerrhoder Arnold Koller folgte, muss man aber eher von er einer unverschuldeten roten Karte sprechen. Sie war von 1999 bis 2003 Bundesrätin, bevor sie Christoph Blocher weichen musste, den später ein ähnliches Schicksal ereilte. Eine Abwahl ist immer eine Schmach, die aber in ihrem Fall wohl von der Tatsache gelindert wurde, dass sie nichts dafür konnte. Sie wurde das Opfer der aufstrebenden SVP und strategischen Spielen hinter den Kulissen.
In ihrer kurzen Amtszeit fiel sie vor allem als harte Arbeiterin auf. Und als erfolgreiche. Die Geschäfte des Justiz- und Polizeidepartements, das die Juristin führte, sind selten besonders schlagzeilenträchtig, aber bedeutsam. Was sie als Vorlage ins Parlament einbrachte, das brachte sie auch durch - und es gab viele davon in wenigen Jahren. Und auch wenn die Auswirkungen heute vielfach kritisch betrachtet wurde, war es damals doch eine politische Leistung, dass sie die Verhandlungen über eine Aufnahme der Schweiz zu den Abkommen von Schengen und Dublin mit der EU durchsetzte.
Geschichte ist unfair: Wer heute an die Bundesrätin Ruth Metzler denkt, dem fallen ihre überraschende Wahl und ihre überraschende Abwahl ein. Was dazwischen lag, geht gern vergessen.
Der Quereinsteiger: Hans-Rudolf Merz
Er wurde gewissermassen versehentlich zum Politiker. Zwar war Merz einst Sekretär der St.Galler FDP, verfolgte dann zunächst aber keine weitere politische Karriere. Der ehemalige Unternehmensberater wurde in seinem Kanton Appenzell Ausserrhoden bekannt, nachdem er das Verwaltungsratspräsidium der in eine Krise geratene Ausserrhoder Kantonalbank übernommen hatte. Merz wurden damals zwei Dinge attestiert, die ihn zur beliebten Figur machten: Er suchte die offene Kommunikation und handelte transparent - und er rettete, was zu retten war, indem er die Bank mit einer Teilprivatisierung verkaufsreif machte. Sie ging an die damalige SBG, die heutige UBS.
In den Nachwehen dieser Ereignisse wurde Hans-Rudolf Merz 1997 in den Ständerat gewählt. Dabei geriet ihm zum Vorteil, dass sich die SVP hinter den Freisinnigen stellte - nicht zum letzten Mal. In der denkwürdigen Wahl von 2003, als seine «Nachbarin» Ruth Metzler abgewählt wurde, zog Merz neben Blocher als neuer Bundesrat ein. Die direkte Reaktion waren Frauenproteste vor dem Bundeshaus.
Als Bundesrat und Vorsteher des Finanzdepartements blieb sich der Ausserrhoder treu: Wirtschafts- und unternehmensfreundlich. Noch heute lasten ihm politische Gegner an, mit seiner Unternehmenssteuerreform II die grossen Spareinschnitte in der Folge zu verantworten zu haben. Ausgeklammert wurde dabei, dass 2007 auch die Schweiz von einer Finanzkrise getroffen worden war. Und: Merz hatte seine Politik stets transparent verfolgt und keinem etwas vorgemacht.
Die Bilanz: Nachhaltigkeit
Es gibt aus den letzten 40 Jahren viele Bundesratsmitglieder, deren Wirken nicht haften geblieben ist und deren Namen vergessen wurden. Für die Ostschweizer gilt das nicht - aus verschiedenen Gründen. Politische Differenzen ausgeklammert, haben alle Spuren hinterlassen und sich ins Gedächtnis eingebrannt. Gute Vorzeichen für einen neuen Anlauf.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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