Unser letzter Text über die Art und Weise, wie in den Medien heute «Geschichten» gemacht werden statt faktenbasiert über Themen zu berichten, hat ein grosses Echo ausgelöst. Und die Redaktion des Tages-Anzeigers zu einer Gegendarstellung provoziert.
Das gibt uns in idealer Weise die Gelegenheit, uns über dieses «Instrument» Gedanken zu machen, das in Krisensituationen immer wieder in Betracht gezogen wird, gerade wenn, wie wir das dargestellt haben, einseitig und voreingenommen über einen Fall berichtet wird.
Problem 1: Schlafende Löwen wecken
Gegendarstellungen sind mit drei grundsätzlichen Problemen behaftet. Die erste Problematik besteht darin, dass eine Gegendarstellung eine zusätzliche Leserschaft erschliesst: Leser, die den Basistext nicht gelesen haben, stossen mit der Gegendarstellung möglicherweise erst auf eine Problematik, der sonst nicht wahrgenommen worden wäre. Manchmal werden auch erst durch eine Gegendarstellung Quellen mobilisiert, die sich dann bei den Medienschaffenden melden. So ist es auch uns ergangen. Später mehr.
Problem 2: Die indirekte Bestätigung
Eine Gegendarstellung kann per Gesetz nur Fakten bestreiten, nicht aber Meinungen. Und bei den Fakten ist oftmals das, was nicht bestritten wird, interessanter als das, was „korrigiert“ wird. In unserem Beispiel moniert der Tagesanzeiger beispielsweise, einige Zitate seien nicht korrekt wiedergegeben worden. Das ist sogar richtig. Aber aus dem einzigen Grund, als dass in der ursprünglichen Version des Textes nicht nur der Tagesanzeiger, sondern auch noch andere Medien als Quelle für die von uns beanstandete Art des „Storytelling“ angeführt worden waren. Im Rahmen der Kürzungen fielen diese weiteren Medientitel dann weg, sodass der Tagesanzeiger zurecht moniert, die Zitate stammten nicht von ihm. Alleine: Für die Grundaussage unseres Artikels sind diese Dinge unerheblich.
Was der Tagesanzeiger aber beispielsweise nicht korrigiert ist unsere Aussage, dass Medien, wenn sie Geschichten inszenieren, als Leserbriefe oder Forumsbeiträge nur das publizieren, was zu ihrer Geschichte passt. „Stur bis zur Zensur“ sagen wir dazu. – Ansichten, die Zweifel an der Geschichte aufkommen liessen, werden lieber unterschlagen. Wir hatten geschrieben, dass wir bei der Berichterstattung über das Universitätsspital versucht hatten, Inkonsistenzen aufzuzeigen – die Leserbriefe und Forumsbeiträge wurden allerdings nie publiziert. Wir haben Briefe von Dritten erhalten, welche unsere Beobachtung bestätigt haben und denen es genau gleich ergangen war. Dass der Tagesanzeiger das nicht berichtigen wollte, erscheint uns doch als interessante Einlassung.
Ebenfalls nicht bestritten wird unsere grundsätzliche Aussage, dass heutzutage Medienberichte und -kampagnen nicht primär darauf fussen, Fakten ausgewogen zu präsentieren, sondern dass „Geschichten“ gesucht werden mit Heros und Zeros, mit Helden und Halunken. Ohne Grautöne, ohne Farben, ohne dass die möglicherweise „dunklen Seiten“ der Helden ebenfalls aufgezeigt würden. Dass eines der grössten Schweizer Medienhäuser die Hauptaussage unseres Beitrags nicht bestreiten mag, ist dann definitiv eine grosse Sache. Insbesondere, wenn man sich vor Augen führt, wie stark die Verlagshäuser aktuell darum betteln, von uns allen Steuerfranken zu erhalten für ihre «systemrelevanten» Dienstleistungen.
Zurück zu den Fakten: Genauso interessant ist in diesem Zusammenhang die Einräumung des Tagesanzeigers: die Zeitung behauptet, sie hätte sehr wohl abgeklärt, ob der Hinweisgeber am Unispital sein Dossier in der halben Weltgeschichte herumgeschickt hätte. Und sei dabei zum Schluss gekommen, dass er das nicht getan hätte, sondern wegen Operationen trotz Corona-Einschränkungen die Bundesbehörden eingeschaltet habe. Interessanterweise schreibt der Tagesanzeiger das erst in seiner Gegendarstellung. Seinen Leserinnen und Lesern hat er diese Informationen im Artikel vorenthalten. Unserer Meinung zufolge mit einem klaren Ziel.
Es wäre doch einiges am Lack des «Helden» abgebröckelt, hätte die Leserschaft gewusst, dass der Held offenbar viele Chancen nutzt, seine Vorgesetzten bei Dritten anzuschwärzen. In diesen Zusammenhang gehört auch die Tatsache, dass die Medien bis zum 14. Juni 2020 ein weiteres wichtiges Puzzlestück nie vermeldet haben. Erst an diesem besagten Sonntag schreibt Chefredaktor Rutishauser mit Bezug auf Quellen aus dem Unispital, der Whistleblower habe Ambitionen gehabt, zum Stellvertreter des Chefarztes befördert zu werden. Der Job ging aber an einen Externen. Autsch!
Dies lässt die Angelegenheit dann doch noch einmal in einem etwas anderen Licht erscheinen. Für uns jedenfalls macht es die Möglichkeit, dass es hier einfach auch um Neid und Missgunst gehen könnte, nicht eben unwahrscheinlicher. Genauso wie der Fakt, dass der „Held“ der Geschichte, nebst seiner Funktion als leitender Arzt, selbst ebenfalls noch diversen Nebenbeschäftigungen nachgeht. Die verschiedenen Handelsregister-Plattformen nennen seinen Namen im Zusammenhang mit drei privaten Firmen, in denen er Präsident oder Gesellschafter ist.
Diese Information wurde uns übrigens aufgrund unseres letzten Beitrags von verschiedenen Quellen zugetragen, zusammen mit weiteren Informationen, welche die insinuierte Stossrichtung des Tagesanzeigers sehr relativieren, er sei einfach nur aufgrund seiner Hinweise auf Verfehlungen seines Chefs geschasst worden. Was nicht ins Bild passt, wird ausgelassen, oder nur am Rande erwähnt, nie mehr wiederholt, oder entsprechend geframt. Fairerweise sei gesagt: Nicht nur der Tagesanzeiger tut das, auch viele andere. Was es nicht besser, sondern schlimmer macht.
Problem 3: Folge-Berichterstattung
Schliesslich zum letzten Problem der Gegendarstellungen: Oft genug heizen sie eine Kontroverse mehr an, als dass sie sie eindämmen. Weil die Medienschaffenden sich erst recht veranlasst sehen, das Thema noch einmal aufzugreifen. So wie wir. Ohne die Gegendarstellung des Tagesanzeigers hätten wir für diesen Text wohl keinen Anlass gehabt. Deshalb raten wir unseren Kunden sehr sehr selten, dieses Instrument einzusetzen.
Roger Huber (1964) und Patrick Senn (1969) sind ehemalige Ostschweizer Journalisten, die lange Jahre bei nationalen Medientiteln gearbeitet haben. Heute unterstützen Sie Organisationen und Führungskräfte in der Krisenkommunikation und sind Gründungsmitglieder des Verbandes für Krisenkommunikation vkk.
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