logo

Zeyer zur Zeit

Ihr St.Galler Corona-Versager!

Verantwortungslose Opa-Mörder: mit «Chronik einer tödlichen Verharmlosung» sitzt die «Sonntagszeitung» über die Ostschweizer Wurst- und Gurkentruppe zu Gericht.

«Die Ostschweiz» Archiv am 24. Januar 2021

Gleich fünf Redaktoren der «Sonntagszeitung» haben ihre Kräfte zusammengelegt, um es den Ostschweizern, genauer den St.Gallern, mal richtig zu geigen: «St. Gallen hatte in der zweiten Welle eine sechsmal höhere Übersterblichkeit als Basel-Stadt».

Stimmt es also doch, was wir Zürcher schon länger vermuten, dass das Essen von Bratwurst ohne Senf die Abwehrkräfte schwächt? Soweit geht die SoZ nicht. Aber es gibt laut ihr andere Würste, die zumindest eine Mitschuld daran haben.

Da wäre mal Pietro Vernazza. Infektologe und Chefarzt am Kantonsspital St. Gallen. Ziemlich berühmt für seinen Kampf gegen Aids. Auch schon und gerne interviewt von der SoZ. Aber Koryphäen von gestern sind die Schuldigen von heute. Ätsch, wegen abweichender Ansichten bekam Vernazza keinen Platz in der grossartigen Task Force to the Bundesrat, was allerdings immer mehr zur Auszeichnung wird.

Aber Vernazza verharmlost, kräht in einem Blog vor sich hin. Was er da genau sagt, ist der SoZ schnurzegal. Wichtiger ist, dass «in der Ostschweiz» viele auf ihn hören. Wer denn so? Nun «Verschwörungstheoretiker», «Corona-Skeptiker», aber leider auch «seriöse Meinungsmacher» wie der Chefredaktor des «St. Galler Tagblatt».

Unglaubliche Zustände beim «Tagblatt», während doch Tamedia gerne auf Postdoktorandinnen, twitternde Todesbotschafter und andere zweifelhafte Gestalten hört. Dagegen ein praxiserfahrener Infektologe, wie kann man nur.

Schlimmer als das «Tagblatt» ist allerdings, dass nun auch noch der ehemalige Volkswirtschaftsdirektor den Posten des Gesundheitschefs übernahm. Er ist zwar von Haus aus Arzt, was auch ihn von der Qualifikation her oberhalb der SoZ ansiedeln würde. Aber eben, Volkswirtschaft, dem ist sicher das Wohlergehen von profitgierigen Firmen wichtiger als die Gesundheit der St.Galler.

Erschwerend kommt hinzu, dass der sich wieder von Vernazza beraten lässt. Dabei behauptet der doch, dass eine differenzierte Durchseuchung, also vor allem von jungen Menschen, während die Hauptrisikogruppe uralt mit Vorerkrankung, massiv besser geschützt wird, eine mögliche Lösung wäre. Völlig vernünftiger Vorschlag, aber eben, doch nicht von diesem Mann.

So nimmt das Unheil seinen Lauf. Fussballspiel «vor 9244 maskierten Zuschauern», «Pätch, es bitzli Olma». Während Vernazza weiter seine Irrmeinung verbreitet «unser Immunsystem hilft uns mehr als alle Plastikwände, Masken und Desinfektionsmittel». Folge, auch der laxen Verbotspolitik der Regierung, vom «Tagblatt bejubelt als «die St. Gallier halten an ihrem eigenen Weg fest»: «Das grosse Sterben geht los.»

Und was tun die St. Gallier? Unerhörtes, Gesundheitsdirektor Damann sagt doch tatsächlich: «Auch Sterben gehört zum Leben.» Was für eine Fehlmeinung, wie kann er nur, schon mal was vom ewigen Leben gehört? Nun wird die SoZ richtig fies. Der Dresche-Artikel zieht sich nicht nur über drei Seiten, sondern beginnt, szenischer Einstieg, das Einzelschicksal zum Auslösen von Betroffenheit, mit dem Corona-Tod eines 66-Jährigen, verstorben im St. Galler Rheintal, Name der Redaktion bekannt. Als Ergänzung zu dieser arschkalten Aussage von Damann wird nun die Trauer der Tochter des Toten gegengeschnitten, die sich «auf der Intensivstation» von ihrem Vater «verabschieden musste»: «Die Aussage, wir hätten verlernt zu sterben, war für uns schlimm. Mein Vater wurde mit 66 Jahren regelrecht aus dem Leben gerissen.»

Verantwortungsloser Vernazza, Unmensch Damann, unterstützt nicht nur von Verschwörungstheoretikern, sondern auch vom seriösen «Tagblatt»: arme St. Gallier, was macht ihr nur ohne Miraculix und einen Zaubertrank? Inzwischen werden Fehler eingeräumt, Vernazza ist verstummt, aber der Chefredaktor des «Tagblatt» mopst, dass es im Nachhinein immer einfach sei, «die Bekämpfungsstrategie ist keine exakte Wissenschaft».

Damit hat er Recht, das fängt schon bei den wackeligen Statistiken und ihrer Interpretation in einer wahren Kakophonie der Fachleute an. Was man an der Berechnung der sogenannten Übersterblichkeit pro Kanton durch die SoZ sehen kann und was hier schon mehrfach thematisiert wurde.

Bei aller Mühe, über die St.Galler kübelweise Kritik und Häme auszuschütten; einen schweren Recherchierfehler hat die Crew der SoZ allerdings gemacht. Eine weitere wichtige Quelle allen Übels in der Ostschweiz ist natürlich «Die Ostschweiz». Ein Sammelbecken von Verschwörungstheoretikern, «Corona-Skeptikern», Aluhutträgern, aber leider auch seriösen «Meinungsmachern», besser gesagt Journalisten. Aber kein Wort darüber in der SoZ.

Die zudem am längst bei Tamedia über Bord geworfenen Unsinn festhalten: selber nachdenken, Meinungen mit Fakten untermauern, Gegenmeinungen und Debatte zulassen. Das sei doch die Aufgabe eines Nachrichtenmediums. Sorry, unser Irrtum. Zuerst nachdenken, dann recherchieren, dann die Ergebnisse präsentieren? Quatsch. Eine unerschütterliche These haben, Wirklichkeitssplitter entsprechend zusammentragen, mit Gesinnungsjournalismus zuklatschen, fertig ist das Stück.

Irgendwie auch typisch für die Angestellten bei Tamedia: Anzahl Tote, Übersterblichkeit, das ist das einzige Kriterium, um Erfolg oder Versagen zu beurteilen. Alle anderen Auswirkungen auf die Wirtschaft, die Gesellschaft, die Psyche, das Sozialleben, die Multimilliardenschäden, die drohende Vernichtung von Tausenden von KMU, von Existenzen? Na und, sagt da der einäugige SoZ-Rechercheur, bei uns kommt der Lohn spätestens am 28. aufs Konto, und Ende Jahr doppelt. Wo soll das Problem sein?

Der «Fokus» der SoZ war mal ein angesehenes Gefäss für profunde Recherche, für die Verbreitung unangenehmer Wahrheiten, für Journalismus mit Hand und Fuss. Sowie Köpfchen ohne Scheuklappen und Brett davor. Hand und Fuss scheinen noch vorhanden zu sein.

Stölzle /  Brányik
Autor/in
«Die Ostschweiz» Archiv

«Die Ostschweiz» ist die grösste unabhängige Meinungsplattform der Kantone SG, TG, AR und AI mit monatlich rund einer halben Million Leserinnen und Lesern. Die Publikation ging im April 2018 online und ist im Besitz der Ostschweizer Medien AG.

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.