Herbert Brogli war der zweite Staatsanwalt überhaupt im Kanton Appenzell Innerrhoden. Und er ist der zweite, der seinen Hut vorzeitig nehmen muss. Seine Vorgängerin wurde entlassen - und stritt danach jahrelang vor Gericht mit dem Kanton.
Die Gewaltenteilung ist in Innerrhoden ein ziemlich junges Kind. Und auch sonst haben sich die Staatsstrukturen lange von denen anderer Kantone unterschieden. Erst 2000 setzte Innerrhoden eine eigentliche Staatsanwaltschaft ein.
Erste Inhaberin des Postens wurde die damalige Untersuchungsrichterin Jacqueline Jüstrich. Nach sechs Jahren im Amt erhielt sie die Kündigung. Diesen Schritt der Regierung bekämpfte sie bis vor Bundesgericht - mit einem kleinen Teilerfolg.
Doch von Anfang an. Als die Untersuchungsrichterin mit 37 Jahren im Jahr 2000 zur ersten Staatsanwältin im Kanton überhaupt berufen wurde, sah man das als grossen Karriereschritt für die ambitionierte Juristin. Allerdings stand die Aufgabe schon bald unter einem schlechten Stern. Spätestens, nachdem sie 2004 einen neuen Vorgesetzten erhielt, hing der Haussegen schief. Damals wählte die Landsgemeinde Melchior Looser zum neuen Landesfähnrich. Damit war er in der Standeskommission (Regierung) für das Justiz-, Polizei- und Militärdepartement zuständig. Und administrativ für die Staatsanwaltschaft zuständig.
Offenbar stimmte die Chemie zwischen dem neuen Regierungsmitglied und der Staatsanwältin von Anfang an nicht. Das könnte auch damit zusammenhängen, dass Looser als ehemaliger Postautochauffeur keine juristische Vorgeschichte aufweisen konnte. Immer wieder gab es Stimmen, die bezeugte, Jüstrich äussere sich abfällig über Looser. Sie hatte in Sachfragen ohne Frage einen massiven Vorsprung. Es ist kein Zufall, dass in vielen Kantonen Regierungsräte mit einem Jus-Studium die Justiz unter sich haben.
Und es schien auch menschlich nicht zu klappen. Ein «gestörtes Vertrauensverhältnis» war die Begründung für die Kündigung, welche die Standeskommission Mitte 2006 gegen die Staatsanwältin aussprach. Dem unmittelbar vorausgegangen war angeblich eine besonders derbe Äusserung von Jüstrich gegenüber Looser, wobei Jüstrich den Wortlaut stets bestritten hat.
Gesichert ist: Looser wollte nicht mehr mit der Staatsanwältin zusammenarbeiten, die Regierung liess sich überzeugen, dass eine Kündigung in der ordentlichen Frist von sechs Monaten angezeigt sei. Und sie sprach diese aus.
Nun kann man einer Juristin nicht ganz so problemlos kündigen wie einem Vertreter eines anderen Berufsstandes. Jacqueline Jüstrich focht den Entscheid als missbräuchlich an, und sie wusste, wie man das tut. Sie wolle weiterarbeiten, erklärte sie und forderte die Aufhebung der Kündigung.
Das Urteil zeigte, dass sie nicht ganz ohne Grund vor Schranken zog. Das Verwaltungsgericht kritisierte einzelne Aspekte der Kündigung. So sei der Staatsanwältin keine Anhörung gewährt worden, auf die sie ein Anrecht gehabt hätte. Die Beschwerde wurde dennoch abgewiesen.
Nächste Station war das Bundesgericht. Und dessen Urteil war sozusagen eine Kopie der Vorinstanz: Es sei nicht alles richtig gelaufen, ungültig sei die Kündigung deswegen aber nicht. Damit war klar, dass Jüstrich mit dieser leben musste.
Schliesslich ging es, nachdem die Kündigung definitiv war, noch ums Geld. Jacqueline Jüstrich forderte vor Verwaltungsgericht eine Entschädigung von sechs Monatslöhnen, etwa 74'000 Franken. Auch damit drang sie nicht durch - jedenfalls nicht ganz. Die rund 24'000 Franken, die ihr zugesprochen wurden, verbuchte die Klägerin als «Teilerfolg», mit der Höhe zeigte sie sich aber nicht zufrieden.
Vor allem aber stand die Frage im Raum, ob bei der Kündigung wirklich nur formale Aspekte wie das fehlende rechtliche Gehör das Problem waren. Strittig war, ob es überhaupt sachliche Gründe für die Entlassung gab. Die Beurteilungen der Arbeitsleistung seiner Mandantin seien bis zur Kündigung durchwegs positiv gewesen, sagte ihr Anwalt damals. Zu einem Bruch kam es offenbar 2006 in einer Diskussion über die Übertragung von Ferien- und Überstundenguthaben von Jüstrich, die der Vorgesetzte Melchior Looser nur zum Teil bewilligte.
Ein weiteres Minenfeld tat sich auf, als Looser Auskunft zu einem laufenden Fall verlangte und die Staatsanwältin sich unter Berufung auf die Gewaltentrennung weigerte. Das Tuch war zerschnitten, die Kündigung der nächste Schritt.
Ein interessanter Aspekt: Schon in der Aufarbeitung der Amtsführung von Jacqueline Jüstrich trat zutage, dass die Innerrhoder Staatsanwaltschaft nicht unter idealen Bedingungen arbeitete. Und dass die Einflussnahme der Politik auf die Justiz zu hinterfragen sei. Jüstrich warf Looser vor, «unverhohlen Einfluss» auf die Strafverfolgung genommen zu haben, obwohl er in seinem Amt nur die administrative Leitung der Staatsanwaltschaft zu verantworten hatte. Das alles war im Herbst 2006 Thema, als der Grosse Rat das Gerichtsorganisationsgesetz behandelte. Und man war der Ansicht, man habe nun für die Zukunft vorgespurt, ein solcher Fall sollte sich nicht wiederholen.
Zwölf Jahre später musste nun erneut für teures Geld ein Untersuchungsbericht in Auftrag gegeben werden, der angesichts eines konkreten Falls die Staatsanwaltschaft und ihre Arbeit durchleuchtete. Auch 18 Jahre nach Einführung dieses Amts scheint Innerrhoden mit diesem noch nicht glücklich geworden zu sein.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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