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Digitalisierung

Neue Chancen für das Gemeindeleben

Wird die Ostschweiz strukturell bald eine andere sein als heute? Die Trennung zwischen Stadt und Land wird an Bedeutung verlieren, ist Jenny Schäpper-Uster überzeugt. Sie muss es wissen. Sie begleitet Gemeinden bei den Veränderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt.

Adrian Zeller am 09. Juli 2018

Wenn in Ostschweizer Landgemeinden Poststellen, Bankfilialen und Lebensmittelläden geschlossenen werden, treibt Jenny Schäpper-Uster weniger Wehmut, als vielmehr die daraus entstehenden Chance um.

Für sie sind es Anzeichen eines Strukturwandels, dem man frühzeitig aktiv begegnen muss. «Als die Industrialisierung einsetzte, strömten die Arbeitskräfte von den Feldern in die Fabriken. Durch die Digitalisierung kehren viele Berufspendler in ihre Wohngemeinden zurück. Dies ist eine grosse Chance, das Dorfleben neu zu beleben.»

Coworking Space Wil

Jenny Schäpper-Uster.

Neue Dorftreffs

Vom Gewerbe und von der Industrie aufgegebene Immobilien können gemäss Jenny Schäpper selbst in strukturschwachen Regionen durch die Digitalisierung einen neuen Aufschwung erleben. Die Stichworte sind: Generationentreffs, Kitas, Lernplätze, Kleinwerkstätten, Kinderhorte, Cafés sowie Gemeinschaftsbüroarbeitsplätze, die neudeutsch Coworking Spaces heissen.

Um zu verdeutlichen, dass es sich hierbei nicht einfach um nebulöse Zukunftsfantasien geht, verweist sie auf entsprechende Initiativen und Ansätze im Toggenburg und im Thurgau sowie auch im Engadin und im Wallis und auch auf die Neue Regional Politik des Bundes. «Dort arbeiten wo man lebt», lautet das Motto.

Ängste abbauen

Von heute auf morgen entstehen diese Nutzungsumwandlungen allerdings nicht. Vieles muss neu gedacht werden, dieser Bewusstseinswandel braucht Zeit, wie Jenny Schäpper aus vielfältiger Erfahrung weiss.

Über das Netzwerk VillageOffice berät und begleitet sie Gemeinden bei diesen Prozessen. «Es braucht einen Paradigmenwechsel. Man muss die Einwohner für die grossen Veränderungen in unserer Lebens- und Arbeitswelt durch die Digitalisierung, Roboter, Drohnen, 3 D-Drucker und so weiter sensibilisieren.» Noch würden sie vor allem von Befürchtungen und von Vorurteilen getrieben. «Man muss sie mit den grossen Chancen vertraut machen.»

Für Jenny Schäpper ist klar, dass für die Erarbeitung der konkreten Zukunftsentwicklungen eine intensive Bürgerbeteiligung braucht. Wie sie betont, hat jede Region unterschiedliche Bedürfnisse und eine entsprechende Vorgeschichte, beispielsweise eine abflauenden Tourismusregion, die sich neu ausrichten muss. Ein allgemeingültiges Patentrezept gibt es für sie nicht.

Basisdemokratische Entwicklung

«Viele Menschen fühlen sich gegenüber politischen Prozessen ohnmächtig.» Sie sind sehr langwierig und oft etwas intransparent. «Der Wandel kann nur gelingen, wenn die Veränderungen durch einen Prozess, der von unten kommt, gesteuert werden. Ein ausschliesslich durch die Politik übergestülptes Konzept wird kaum funktionieren. Die Gemeindemitglieder müssen ihre konkreten Bedürfnisse einbringen können.» Es gehe nicht um eine Kampf um die besten Ideen, sondern um das verknüpfen von guten Ideen, damit die Umwälzungen im Gemeinwesen optimal implementiert werden können.

Zwischenmenschliche Kontakte

Jenny Schäpper:»Allmählich wird der sich abzeichnende Wandel in der Arbeitswelt und in den Lebensformen für die Menschen auch in den Innenstädten sichtbar. Es stehen immer mehr Läden leer. Viele Produkte sind heute austauschbar. Ob ich Lego-Klötze im Internet oder im Grossverteiler kaufe, kommt letztlich auf dasselbe heraus.» Was das Internet aber auch in Zukunft nicht leisten könne, sei der humane Faktor. «Die Menschen suchen das Authentische und Persönliche. Die fortschreitende Digitalisierung bietet kleinen Anbietern neue Chancen, wenn sie besondere Erlebnisse und Begegnungen ermöglichen.»

Ostschweizer Pioniergemeinden

«Wenn jetzt auch noch die Poststellen und die Bankfilialen als letzte Begegnungsorte wegfallen, müssen wir den Service public völlig neu definieren», ist die 45-jährige Mutter zweier Kinder im Schulalter überzeugt. Ein Ansatz und Ausgangspunkt sind Coworking Spaces, wie sie selber einen in Wil gegründet hat. Gleichzeitig ist die Präsidentin des Vereins Coworking Switzerland und Partnerin in der Genossenschaft VillageOffice.

Während vor einigen Jahren gemeinschaftliche Büroräume vor allem in den Städten anzutreffen waren, entstehen sie in den letzten Jahren beispielsweise auch in Lichtensteig, Appenzell oder in Weinfelden. Weitere werden bald folgen, zeigt sich Jenny Schäpper optimistisch. «Es gibt schon 155 solches Spaces in der Schweiz, Tendenz stark steigend.»

«Einige Gemeindepräsidenten in der Ostschweiz haben den Handlungsbedarf erkannt und engagieren sich für die Belebung und die Attraktivitätssteigerung ihrer Orte.» Für die ausgebildete Betriebswirtschafterin ist klar, dass es Investitionen braucht. Doch wenn viele von der neuen Entwicklung profitieren, seien auch viele bereit, eine Tranche der Kosten zu übernehmen. «Wenn dank Digitalisierung nicht mehr viele Menschen in die grossen Zentren pendeln müssen, befriedigen sie ihre Bedürfnisse vermehrt vor Ort, dies bringt auch dem lokalen Gewerbe wieder mehr Kunden.»

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Adrian Zeller

Adrian Zeller (*1958) hat die St.Galler Schule für Journalismus absolviert. Er ist seit 1975 nebenberuflich, seit 1995 hauptberuflich journalistisch tätig. Zeller arbeitet für diverse Zeitschriften, Tageszeitungen und Internetportale. Er lebt in Wil.

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