Der Jurist Artur Terekhov tarnt Altmänner-Konservatismus als Libertarismus. Dabei verstrickt er sich argumentativ und ideologisch in Widersprüchen. Eine Replik auf ein Plädoyer, das den Eindruck eines wenig schmeichelhaften Frauenbildes vermittelt.
Dieser Beitrag ist eine Reaktion auf den Artikel unseres Gastautors Artur Terekhov vom 10. Mai 2022.
«Jene Kreise, die sonst sehr oft nach staatlichen Eingriffen rufen, haben eher wenig Respekt vor unschuldigem Leben“, schreibt Artur Terekhov und bezieht sich dabei auf die jüngsten Proteste (aus linken Kreisen) um einen geleakten Urteilsentwurf des US Supremecourts. Dieser sieht vor, dass künftig jeder einzelne US-Bundesstaat selbständig über seine Abtreibungspraxis entscheidet.
Dezentralisierung ist aus libertärer Sicht zu begrüssen. Darum geht es in Terekhovs Plädoyer aber nicht. Es ist der Versuch, mittels durchschaubarem Tribalismus die libertäre Szene für einen Altmänner-Konservatismus zu gewinnen. Dafür spricht der Versuch, diverse sachfremde Themen (Corona, Abtreibung etc.) über das Feigenblatt von staatlichen Abwehrrechten hinweg miteinander zu verknüpfen, um eine angeblich libertäre Position zu unterstreichen.
Verletzung des Selbsteigentums
Viele, die sich üblicherweise laut gegen staatliche Restriktionen wehren, hegen neuerdings feuchte Träume nach einer intermediären, das Selbsteigentum (Körper) anderer einschränkender Gewalt. Zumindest dann, wenn es um weibliche Reproduktionsorgane geht. Das Tränendrüsenargument „unschuldiges Leben zu schützen“ (das an emotionale/moralische Erpressung erinnert – die Königsdisziplin der politisch korrekten Linken), soll vertuschen, dass es hier in Wahrheit um die Beschneidung des Selbsteigentum von Frauen geht. Terekhov plädiert in seinem Text dafür, diese durch staatliche Gewalt ausser Kraft zu setzen, und bezieht sich dabei angeblich auf Libertarismus – während er simultan die Untergrabung dessen Prinzipien predigt.
«Geht man davon aus, dass ein Embryo bereits eine eigenständige Rechtspersönlichkeit hat, ist es nichts als konsequent, dass dieser vom Staat mit den Mitteln des Strafrechts geschützt wird», schreibt Terekhov. Belegen kann er diese Behauptung im Text nicht. Der Jurist redet zwar von «Schutz» des Embryonen, in Wahrheit geht es hier aber um eine Verletzung des Selbstseigentums der Frau durch staatliche Gewaltandrohung. In anderen Worten: Wird eine Frau schwanger, wird ihr Selbsteigentum verstaatlicht. Das dürfte kaum im libertären Sinne sein.
Weiter schreibt Terekhov «Auf den Umstand, dass der Embryo noch nicht allein lebensfähig ist, kann es argumentativ nicht ernsthaft ankommen, müsste man sonst auch zweijährige Kinder oder Behinderte umbringen dürfen.» Damit versucht er seine Behauptung, ein Embryo besitze den Status einer eigenständigen Rechtspersönlichkeit, zu untermauern.
Terekhov macht hier einen gravierenden Denkfehler: Im Mutterlieb ist der Embryo untrennbar (und lebensnotwendig!) mit dem Körper der Mutter verbunden, kann genau genommen als abhängiges, reproduziertes Element in diesem Stadium nicht als eigenständige Entität gewertet werden. Denn: Endet diese Abhängigkeit zu früh, ist die Folge der unweigerliche Tod des Ungeborenen. Es kann sich folglich nicht um eine eigenständige – das heisst: vom Körper der Mutter unabhängige und getrennte! - Persönlichkeit, Entität, handeln.
Dieses Ausmass von Abhängigkeit ist weder bei einem zweijährigen Kind noch bei einem behinderten Mensch der Fall. Argumentativ werden hier Äpfel mit Birnen vermischt.
Treibt man Terekhovs Arumgentationslinie weiter voran, dann wäre der Mutter während der Schwangerschaft Suizid staatlich untersagt, da der Schutz des Ungeborenen höher gewertet werden würde als ihr Anspruch auf ihr ureigenstes Selbsteigentum: Ihren Körper/Ihr Leben. Das Selbsteigentum der Frau umfasst nach libertärer Auffassung auch das Recht auf einen selbstbestimmten Tod. Wir reden hier de facto von einer krassen Verletzung des negativen Freiheitsbegriffs. Daran ändert auch Terekhovs unbelegte Behauptung nichts - gerade, weil diese als Alibiübung für die Ausserkraftsetzung herhalten soll.
Staatlich aufgezwungene Schwangerschaft
Dass ein negativer Freiheitsbegriff nach Terekhov umfassen soll, einer Frau die Fortführung einer Schwangerschaft, einer Geburt sowie eine ungewollte Mutterschaft staatlich (d.h.: unter Zwang!) zu verordnen (mit sämtlichen einzukalkulierenden Gefahren: Trauma, Tod, körperliche und psychische Schäden) ist schlicht Unsinn. Wer ein solches Bild staatlicher Abwehrrechte pflegt, der sollte dringend noch einmal über die Bücher. Staatlich erzwungene Kinder sind nicht libertär.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Terekhovs eigene Partei auf ihrer Webseite verlautbaren lässt: „Keinem Menschen und keiner Gruppierung steht es zu, Menschen mit Gewalt oder Androhung von Gewalt zu etwas zu zwingen und dadurch in ihrem Selbsteigentum einzuschränken.“
Argumentativer Genickbruch
Auffällig ist, dass Terekhov scheinbar libertäre Argumentation mit der gleichzeitigen Sehnsucht nach staatlicher Gewaltanwendung, respektive Gewaltandrohung vermischt, die er als «Schutz» von Rechten bezeichnet, die aber in Wahrheit genau das Gegenteil zur Folge haben: Verletzung von Rechten. Letztendlich vollführt Terekhov einen argumentativen Genickbruch, indem er sich in unwürdiger Phrasendrescherei auf Stammtischniveau verliert.
So sei «eine Frau mit Abtreibungswunsch» («Ich hatte Spass ohne Verantwortung. Aber die Last eines Kindes will ich gerade nicht tragen. Wie wunderbar, dass die arbeitende Bevölkerung über die Krankenkasse meinen Eingriff finanziert»), so Terekhov wörtlich – gleichzusetzen mit profanen Alltagsvorlieben von jemanden, der gerne «Würste, Pommes oder Berliner» isst oder «gerne rauche» – und die Gesellschaft für die aus diesem Handeln resultierenden Konsequenzen mitverantwortlich machen wolle.
Terekhovs Pseudoargument zeichnet ein entwürdigendes Frauenbild: Der Beweis, dass abtreibungswillige Frauen selbst nicht zur arbeitenden Bevölkerung gehören, bleibt er schuldig. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass ein ungewolltes Kind im Laufe seines Lebens die Allgemeinheit mehr kostet als eine Abtreibung. So viel zur Kostenanalyse.
Als Jurist müsste ihm weiter klar sein, dass nach dem Verursacherprinzip immer zwei Menschen für die Zeugung (und somit auch für die Verhütung) eines (ungewollten) Kindes verantwortlich sind. Die Tatsache, dass eine der zwei Parteien einen Penis besitzt, entbindet diese in keinster Art und Weise von dieser Verantwortung.
Dass das Versagen von Verhütungsmittel, oder die Praxis, dass Männer ohne Zustimmung das Kondom während des Geschlechtsaktes abziehen (im Fachbegriff: Stealthing - im Internet leiten sich schwachsinnige Männer Anleitungen dazu weiter) zu einer ungewollten Schwangerschaft führen können, blendet der Autor in seinem Plädoyer ebenfalls aus.
Terekhovs Argumentationstaktik erinnert an den Wunsch, den Willen der Frau durch intermediäre Gewalt zu untergraben (ansonsten: Nötigung – strafbar!), um sich mittels «demokratischer» Legitimation (von Hans Hermann-Hoppe als freiheitsfeindlich entlarvt) an den Rechten Anderer zu vergreifen. Weiter zeigt sich eine Tendenz zu einer vollständigen Übertragung der Verantwortung reproduktiver Handlungen von Männern auf die Frauenwelt, was einer Infantilisierung des männlichen Geschlechts gleichkommt.
Oder in anderen Worten: Wie es mit Terekhovs libertärem Prinzip der Eigenverantwortung vereinbar ist, dass 100 Prozent aller ungewollten Schwangerschaften durch Männer mitverschuldet werden, die im entscheidenden Moment offenbar heillos damit überfordert sind, sich ein hauchdünnes Stück Gummi über ihr hartes Pfiifäli zu ziehen – diese Antwort bleibt der Jurist bis zuletzt schuldig.
Nicole Ruggle ist Redaktorin beim Nebelspalter und betreut dort das Dossier «Sicherheit».
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