Vor der Abstimmung über die Erneuerung der kantonalen St.Galler Spitäler gab es keinen Meinungsbildungsprozess, Kritiker wurden nicht beachtet. Stattdessen sorgten hochbezahlte PR-Fachleute im Auftrag der Regierung dafür, dass das Parlament und das Volk Ja sagten zu den Krediten.
2014 war das Jahr der Entscheidung für die Spitallandschaft St.Gallen. Und auch wenn es bei den Abstimmungen um 800 Millionen Franken ging - mit der Idee, gesamthaft zwei Milliarden auszugeben -, entstand keine echte Debatte. Die Vorlage der Regierung galt als einzige Möglichkeit, das Gesundheitswesen fit zu machen. Ein Irrglaube, wie wir heute wissen.
Dagegen sprach nur ein Papier der Industrie- und Handelskammer (IHK) St.Gallen-Appenzell aus dem Jahr 2013. Deren damaliger Direktor Kurt Weigelt beurteilte die Pläne der Regierung kritisch. Sie leite ein Generationenprojekt ein und investiere damit in eine alte Struktur. Dies, anstatt dem Kanton St.Gallen ein modernes und zukunftsgerichtetes Gesundheitswesen zu verpassen. Überspitzt könnte man Weigelts Kritik in dieses Bild rücken: Da wurde eine Luxusküche in ein altes Haus eingebaut, bevor man wusste, ob man das Haus an dieser Stelle noch brauchte - und ob je jemand darin kochen würde.
Die IHK, obschon gut vernetzt in den politischen Kreisen, blieb weitgehend allein mit ihren Warnrufen. Laut einem weiteren Beitrag von Kurt Weigelt im IHK-eigenen Magazin aus dem Jahr 2014 (vor den Abstimmungen) hatte das auch damit zu tun, dass bei den Kreditvorlagen niemand offensiv an Bord geholt wurde. Während beispielsweise beim neuen Planungs- und Baugesetz des Kantons Workshops, Roadshows und ein Vernehmlassungsverfahren viele Stimmen einbanden, geschah das bei den Spitalbauvorlagen nicht. Diese wurden von Anfang an als reine Bauprojekte behandelt, über die man im technischen Sinn informierte. Ob sie aus gesundheitspolitischer Sicht Sinn machen - dazu waren keine Meinungen erwünscht. Im Nachhinein ein geschickter Schachzug: Eine Grundsatzdiskussion über das Spitalwesen der Zukunft ist weit komplexer als die Beurteilung eines Bauvorhabens.
Erst im Frühjahr 2013 wurden die Fraktionen des Kantonsrats mit den Vorlagen als Ganzes konfrontiert. Eineinhalb Jahre vor der Volksbstimmung: Das ist bei dieser Grössenordnung eine sehr kurze Zeitspanne, die kaum Reaktionen zulässt.
Man könnte nun zum Schluss kommen, die Regierung sei von ihren eigenen Vorlagen derart felsenfest überzeugt gewesen, dass sie schlicht keinen weiteren Diskussionsbedarf sah. Dann aber müsste man erklären, weshalb sie - gemäss dem damaligen IHK-Beitrag - ein Budget von 248'400 Franken für die kommunikative Begleitung der Vorlagen durch eine private PR-Agentur einsetzte. Die Massnahmen der Agentur reichten in jede Spitalregion, wo die Menschen verständlicherweise sensibilisiert waren, weil sie eine Schliessung befürchteten. Zunächst ging es noch nicht darum, das Stimmvolk zu erreichen, sondern die Parlamentsvertreter, da das Geschäft zuerst in den Kantonsrat gelangte.
Und diese PR-Arbeit lief, und das war die Besonderheit an dieser Kampagne, bevor der Kantonsrat die Vorlage kannte. Dass versucht wird, die Meinung zu beeinflussen, während ein Geschäft öffentlich diskutiert wird, kennt man. Hier ging es aber nicht darum, eine Volksabstimmung zu beeinflussen, sondern bereits die Diskussion im Kantonsrat in eine bestimmte Richtung zu lenken, indem aus den Regionen Druck aufgesetzt wurde
Kurt Weigelt sprach damals von ein einem nicht akzeptierbaren Vorgehen, «wenn die Regierung mit den Instrumenten des politischen Marketings die Entscheidung des Parlaments zu beeinflussen versucht.» Aber es war erfolgreich, der Kantonsrat muckte - mit einzelnen Ausnahmen - nicht auf. Es lief, wie sich Weigelt erinnert, auf einen «Zweikampf Regierung gegen die IHK» hinaus, was man nie gewollt habe. Er berichtet auch von «zahllosen Rückmeldungen aus dem kantonalen Gesundheitswesen», die der IHK recht gaben, sich aber nicht öffentlich exponieren wollten. Dasselbe treffe auch viele Kantonsparlamentarier zu.
Die IHK war im Grunde nicht allein. Auch die St.Galler Ärztegesellschaft rief dazu auf, überregionale oder interkantonale Spitallösungen zu prüfen, statt einfach in jedes einzelne bestehende Spital zu investieren, egal wie effizient oder nicht effizient es ist. Das waren aber lauter unverlangte Stimmen, die aus eigenem Antrieb laut wurden, eingebunden in den politischen Prozess waren auch diese Fachleute nicht. Ein Unikum gemässen an der sonstigen Usanz bei Vorlagen dieser Grössenordnung. Es war, als sollte jede Debatte im Keim erstickt werden.
Sinn gemacht hätte es, auch kritische Stimmen einzubinden. Die Spitalplanung, die dann in die Kreditvorlagen von zunächst 800 Millionen Franken mündete, basierte auf einer Standortstrategie, die aus den frühen 200er-Jahren stammt. Wie kaum ein anderer Bereich hat sich das Gesundheitswesen seither radikal verändert. 2014 wurde also auf Generationen hinaus geplant auf dem Fundament einer Strategie, die bereits damals Patina angesetzt hatte.
Der Rest der Geschichte ist bekannt. Der Kantonsrat nahm die Überlegungen der Industrie- und Handelskammer St.Gallen-Appenzell und die Kritik der Ärztegesellschaft zur Kenntnis und segnete danach die Pläne der Regierung ab. Das Stimmvolk folgte später in allen Teilen. Und eine PR-Agentur hatte gutes Geld verdient.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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