Mit einem Vergleich zwischen dem Schicksal von Verdingkindern und Kinderkrippen hat sich die Thurgauer SVP-Nationalrätin Verena Herzog mächtig in die Nesseln gesetzt. Kommentatoren von Onlinemedien stellen sich jetzt aber plötzlich in grosser Zahl hinter die Politikerin und ihre Aussagen.
Sie wollte sich gegen die staatliche Bevormundung bei der Kinderbetreuung aussprechen, wählte aber einen ungeschickten Vergleich. Seit gestern macht die Thurgauer Nationalrätin Verena Herzog (SVP) damit Schlagzeilen, und das schweizweit. Wir haben berichtet.
Herzog hat nach der Kritik versucht, sich zu erklären. Dabei kam auch ihre eigentliche Absicht durchaus zum Vorschein. Es ging ihr um eine von ihr befürchtete Entwicklung, dass sich der Staat vermehrt schon im frühesten Alter in Erziehungs- und Betreuungsfragen einmischt.
Das aber, was die meisten gehofft hatten, trat nicht ein: Die Nationalrätin wollte sich auf keinen Fall von der Verwendung des Begriffs «Verdingkinder» distanzieren. Sie würde das wieder so sagen, liess sie alle wissen. Es sei darum gegangen, genau das zu verhindern: Dass es jemals wieder zu einer solchen Tragödie wie mit den Verdingkindern komme, so Herzog.
Tatsache ist aber, dass ihre Wortwahl sehr leicht den Rückschluss zuliess, sie halte die Betreuung in einer Kinderkrippe für vergleichbar mit dem Schicksal der Verdingkinder - auch wenn sie das nicht wollte. Deshalb ist bei den Betroffenen jener Zeit die Entrüstung nicht abgeflaut, sondern eher gestiegen.
Der Originalartikel, in dem Verena Herzog auf die Verdingkinder zu sprechen kam, ist hier zu finden.
Es gibt aber keineswegs nur Kritiker. In der Onlineausgabe des «Blick» sind viele befürwortende Stimmen von Leserinnen und Lesern zun finden. Einige Beispiele:
«Die Frau hat Recht. Immer mehr Eltern kümmern sich nicht mehr um ihre Kinder, früher eher die Ausländer, heute auch immer mehr die Multi-Kulti-Eltern!»
«Ein Kind gehört zu den Eltern, zur Mutter. Nicht den ganzen Tag weg. Man kann das mal machen, nicht dauernd.»
«Recht hat sie! Leider ist den Medien ihr Vergleich wichtiger als ihre Kernaussage.»
«Der Vergleich mit den Verdingkindern ist vielleicht etwas weit hergeholt. Aber die Linken, die eine Veränderung wollen, orientieren sich an der ehemaligen DDR und deren Bildungssystem!»
«So sehr ich den Vergleich mit Verdingkindern deplatziert finde, so sehr muss ich ihr recht geben, was das Kinder in die Kitas 'abschieben' angeht.»
Aussagen dieser Art sind zahlreiche zu finden. Natürlich auch nach wie vor kritische bis vernichtende Stimmen, die anderen sind aber schwer in der Überzahl. Das mag auch der Leserschaft des bewussten Mediums geschuldet sein. Allerdings zeigt sich bei einer Auswertung der Leserstimmen: Über den unglücklichen Vergleich hinaus stärken viele Leute der Thurgauer Nationalrätin in der Tat den Rücken.
Auch im Thurgau, der in vielen Bereichen einen Ticken ländlicher und traditioneller funktioniert als andere Kantone, dürfte die Meinungslandschaft nicht anders aussehen. Die Grundaussagen zum Thema Kinderbetreuung von Herzog dürften hier auf fruchtbaren Boden fallen. Politisch geschadet haben Herzog die Aussagen vermutlich also nicht. Wer jetzt entrüstet ist, hatte die SVP vermutlich auch zuvor nicht auf der Menükarte für die Wahlen.
Allerdings hätte eine klare Distanzierung vom Verdingkind-Vergleich wohl dennoch für mehr Goodwill gesorgt.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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