Die Neutralität der Schweiz hat international derzeit tatsächlich einen schweren Stand. Die These sei erlaubt: Deren schwindende Akzeptanz hat sich mit der Abschaffung des Bankgeheimnisses akzentuiert.
Politik ist das Geschäft der Drehtüren: Eben noch durch die linke Tür verabschiedet, kommen dieselben Politiker ein paar Jahre später durch die rechte Tür zurück. Jedenfalls meistens. Was sie - in weniger demokratischen Weltgegenden - eint: Die meisten hatten ehedem einen Notbatzen in der Schweiz parkiert. Falls einmal alle Stricke reissen sollten. Schliesslich war und ist Politik in jenen Weltgegenden kein risikoloses Geschäft.
Und wie eine Krähe der anderen kein Auge aushackt - so gönnte man sich in einer Art Grundkonsens wenigstens gegenseitig diesen Batzen. Schliesslich könnte jeden das Verdikt game over einmal treffen. Damit dieser Batzen auch wirklich gesichert war - dazu diente nicht zuletzt die Neutralität. Weil hinter dem "Schleier der Ungewissheit" kein Politiker wissen konnte, ob es nicht ihn vielleicht als nächstes trifft, war allen die Neutralität des sicheren Hafens Schweiz hochwillkommen, deren breite Akzeptanz zumindest in der Klasse der Herrschenden die Folge. Egal welcher Couleur.
Was in weniger sicheren Weltgegenden der Fall war, galt auch im beschaulichen Europa: Der halbe deutsche Mittelstand hatte ehedem einen Notgroschen in der Schweiz. Wer sollte da im grossen Kanton die helvetische Neutralität attackieren, dessen Wähler selbst davon profitierten?
Nun, die Zeiten haben sich bekanntlich geändert, das Bankgeheimnis ist gefallen. Die Herrscher dieser Welt, die sich im bloss in einem einig waren: Ein Notgroschen in der Schweiz ist immer gut - haben demzufolge immer weniger Grund, die Neutralität der Schweiz hochzuhalten, so wie sie es seinerzeit taten.
Die guten Dienste waren waren eben schon immer in erster Linie Dienste für Gutbetuchte. Und so zynisch es tönt: Die Existenz eines Notgroschens in der Schweiz hat vielleicht im einen oder anderen Konflikt tatsächlich mit dazu beigetragen, dass es nicht bis zum wirklich bitteren Ende kam. Denn so mancher bedrängte Herrscher mag sich zuletzt gesagt haben: Ein Leben im Wohlstand - Schweizer Bankgeheimnis sei Dank - ist doch besser als der Kampf bis zur letzten Patrone.
(Bild: Symbolbild)
Thomas Baumann ist freier Autor und Ökonom. Als ehemaliger Bundesstatistiker ist er (nicht nur) bei Zahlen ziemlich pingelig.
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