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Wetterentwicklungen

Wie die Eiszeit die Thurlandschaft geformt hat, und wie der Klimawandel sie verändert

Von Gletschern, Seen und Nebel: Meteorologe Christoph Frauenfelder erklärt, wie Temperatur, Niederschlag und Wind die Thur verändern, und welche Auswirkungen das auf die Natur und die Bevölkerung hat.

Christoph Frauenfelder am 06. Januar 2024

Die letzte Eiszeit fand vor rund 25‘000 Jahren ihren Höhepunkt. Zu dieser Zeit war das ganze Mittelland mit einem dicken Eispanzer zugedeckt. Erst vor 14‘000 Jahren begann der sukzessive Rückzug der Gletscher in die Alpentäler.

Der Rheingletscher bedeckte das ganze Gebiet des heutigen Bodensees und weit darüber hinaus in Richtung Donau. Der riesige Eispanzer machte erst vor dem Jura halt. Einer der vielen Seitenarme des Rheingletschers bildete den Thurgletscher über dem heutigen Thurtal. Beim Rückzug entstanden im Unterland viele grosse Seen, die das Landschaftsbild stark prägten. Einer davon war der Diessenhofersee, der von Schaffhausen bis Stein am Rhein reichte und 30 Meter höher lag als der heutige Bodensee. Von Andelfingen bis Weinfelden erstreckte sich der Thursee. Von Henau bis nach Niederbüren bildete sich der Uzwilersee, zwischen Kradolf und Sulgen der Sulgenersee.

Moränen blieben zurück, die die heutige Hügellandschaft bilden. Die ersten Urtiere nahmen von der kargen Tundravegetation Besitz. Im weiteren Verlauf verlandeten oder versickerten viele Seen oder wurden durch eine Katastrophe entleert. Zurück blieben markante Schmelzwasserrinnen. Eine davon bildete im Laufe der Jahrtausende die stark verzweigte und mäandrierende Thur. Sie war im Gebiet Oberbüren – Bischofszell bis zu 500 Meter breit. Vor rund 10‘000 Jahren hat dann die thurgauische Landschaft weitgehend die heutige Gestaltung erreicht.

Die heutige Thur

Die Thur gibt dem Kanton Thurgau seinen Namen. Sie weist ein Einzugsgebiet von 1720 Quadratkilometern auf. Von Unterwasser (Vereinigung von Wildhuser Thur und Säntisthur) bis Flaach (Mündung in den Rhein) weist die Thur eine Länge von 130 Kilometern auf. Bedeutende Nebenflüsse sind die Sitter, der Necker, die Glatt, die Uze und die Murg. Der Thurabfluss ist geprägt durch die Schneeschmelze und Starkniederschläge. Damit ist die Thur ein Wildbach, dessen Hochwasserspitzen durch keinen See gedämpft werden. Sie bringt im Abschnitt Bischofszell – Frauenfeld ein Geschiebe von jährlich 24‘000 Kubikmeter mit sich. Im untersten Thurabschnitt wird viel davon abgelagert, sodass es bei der Mündung in den Rhein nur noch 16‘000 Kubikmeter übrig bleiben.

Die Eingriffe

Bis vor 100 Jahren wurde die Thur an mehreren Abschnitten korrigiert, begradigt und ihre Ufer befestigt. Für einheimische Pflanzen und Tiere bietet ein solcher Fluss keine Lebensgrundlage. Bei extremen Hochwassern brachen immer wieder einige Dämme. Der Hochwasserschutz erfüllte die Erwartungen also nicht.

Erst seit wenigen Jahrzehnten rückt ins Bewusstsein, wie wichtig ein natürlicher Fluss für die Ökologie, aber auch für den Hochwasserschutz ist. Abschnittsweise Renaturierungen gaben der Thur wieder deutlich mehr Platz.

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Hoch- und Niedrigwasser

Bei einem Starkniederschlagsereignis über der Ostschweiz resultiert aus dem Einzugsgebiet der Thur innerhalb 24 Stunden ein Niederschlagsvolumen von bis zu 130 Millionen Kubikmeter Wasser. Die grössten Hochwasser der letzten 110 Jahre (Messbeginn) sind im 1977, 1978, 1999 und 2013 aufgetreten. An der Spitze liegt das Jahr 2013, als in Halden beim Zusammenfluss von Thur und Sitter ein Abfluss von 1220 Kubikmeter pro Sekunde gemessen wurden.

Nach langen Trockenperioden und warmen Sommern weist die Thur vor allem im Herbst sehr tiefe Wasserstände auf. Dann ist ihr Bachbett zeitweise beinahe ausgetrocknet. So führte sie bei Halden in den Jahren 1973, 1978, 1983, 1985 und 1991 nur noch drei Kubikmeter Wasser pro Sekunde.

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Das Klima in der Thurlandschaft

Betrachtet man die Klima-Referenzperiode 1991-2020, so nehmen die Jahresniederschläge vom Säntis (284 Zentimeter) bis Andelfingen (92 Zentimeter) um das Dreifache ab. Natürlicherweise nimmt die Lufttemperatur mit sinkender Meereshöhe zu. Das Jahresmittel beträgt auf dem Säntis minus 0.7 Grad, im Zürcherunterland sind es 9.8 Grad. Die Wassertemperatur der Thur in Halden bewegte sich in den letzten 30 Jahren zwischen 0 und 28 Grad.

Die Besonnung wird in der Thurregion stark durch den Nebel im Winterhalbjahr bestimmt. Während auf dem Säntis die Sonne pro Jahr 1790 Stunde scheint, sind es im Unterland nur noch 1600 (Niederuzwil) bis 1660 Stunden (Zürcher Unterland).

Im Thurabschnitt von Andelfingen bis Bischofszell zeigt sich mit 50 Tagen pro Jahr am meisten Nebel. An zweiter Stelle steht der Abschnitt Bischofszell – Bütschwil mit 30 Nebeltagen. Das mittlere und obere Toggenburg profitieren mit nur noch 20 Nebeltagen vermehrt von der Sonne über dem Nebel.

Die Klimaveränderung

Der Klimawandel im Thurgebiet deckt sich nicht in jeder Hinsicht mit den schweizweiten Erkenntnissen. Ab dem Jahr 1980 ist in der ansteigenden Temperaturkurve ein markanter Knick nach oben ersichtlich. Es macht deshalb Sinn, die beiden 30-jährigen Normperioden 1951-1980 und 1991-2020 (40 Jahre) miteinander zu vergleichen. Aus dem Oberthurgau liegen diesbezüglich umfangreiche Wettermessungen vor, die zumindest für die Thurregion von Bischofszell bis Frauenfeld repräsentativ sind.

So hat die Temperatur in den letzten 40 Jahren um 1.7 Grad zugenommen. Die Sommertage (über 25 Grad) haben um 70 Prozent, die Hitzetage (über 30 Grad) um 80 Prozent zugelegt. Die Frosttage (Tagesminimum mindestens Null Grad) sind unverändert geblieben. Die Tage mit einer Schneedecke haben sich jedoch um 30 Prozent verringert. Zwar sind die Jahres-Niederschlagsmengen unverändert geblieben, doch haben die Trockenperioden um 10 Prozent zugenommen. Die Starkniederschläge liegen heute 20 Prozent, die Gewittertage 40 Prozent höher als vor 40 Jahren. Die Vegetationsperiode hat sich um drei Wochen verlängert.

Die Nebelproduktion sank in den letzten 40 Jahren massiv. So werden heute im Flachland der Thurregion 25 Prozent weniger Nebel verzeichnet. Blättern wir in der Wetterbuchhaltung aber 100 Jahre zurück, so sind es heute gar 50 Prozent weniger Nebeltage (Sicht unter einem Kilometer). Die Begründung liegt zum einen in der verbesserten Luftqualität, insbesondere der Abnahme von Schwefeldioxid, zum andern aber auch in der Ausweitung der Siedlungsgebiete. Trockene Böden und damit trockenere Luft, sowie die steigenden Temperaturen erschweren die Nebelbildung zunehmend. Durch die sinkende Nebelproduktion sowie die allgemeine Bewölkungsabnahme scheint heute die Sonne 15 Prozent mehr als vor 40 Jahren.

Die Thur passt sich an

Zunehmend mildere Winter bewirken durch die steigende Schneegrenze einen erhöhten Abfluss der Thur. Davon profitiert allerdings auch ein ansteigender Grundwasserspiegel. Dieses Schmelzwasser fehlt der Thur im Frühjahr und im Sommer. Alles in allem wird sich die Jahresabflussmenge der Lebensader Thur bei gleichbleibender Klimaveränderung kontinuierlich verringern.

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Autor/in
Christoph Frauenfelder

Christoph Frauenfelder (*1950) ist Architekt in Pension und seit vielen Jahren als Wetterexperte tätig. Seine Spezialgebiete: Agrarmeteorologie, Klimatologie, Historisches Klima, Bodenseeklima. Er lebt in Niederuzwil

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