logo

Andere Orte preschen vor

Zwischen Digital Detox und Realitätsflucht: Soll das Handy aus dem Schulhaus verbannt werden? So denkt die Ostschweizer Politik darüber

Finger, die über den Smartphone-Bildschirm fliegen, sucht man an einer Schule in Würenlos vergebens: Hier herrscht ein Handyverbot. Auch andere Länder verbannen die technischen Geräte aus Schulhäusern. Sollte die Ostschweiz nachziehen?

Manuela Bruhin am 06. August 2024

Ob im Bus, im Restaurant oder auf der Strasse: Überall zeichnet sich ein ähnliches Bild. Menschen sind über ihr Smartphone gebeugt, miteinander gesprochen wird selten, und wenn doch, passiert das selten ungestört, weil es ständig piept, klingelt oder surrt. Allzu oft lassen wir uns von unserem Smartphone ablenken, und nehmen es aus Gewohnheit selbst dann in die Hand, wenn es eigentlich gerade mal keinen Ton von sich gibt.

Auch die Schule bildet bei diesen Szenarien keine Ausnahme. Schülerinnen und Schüler verlieren sich in der TikTok-Welt, filmen, fotografieren und schreiben, was das Zeug hält. Eine Schule im Kanton Aargau hält nun dagegen und führt ein Smartphoneverbot ein. Dort zeichnen sich laut dem Tagesanzeiger beinahe skurrile Bilder während der Pausen ab: Es wird Pingpong gespielt, miteinander gesprochen und gelacht – ohne, dass dabei jemand auf einen Bildschirm starrt.

Bereits seit 17 Jahren sind Handys dort verboten – mit einigen Ausnahmen, die von der Lehrperson bewilligt werden. Die Schülerinnen und Schüler seien so weniger abgelenkt und könnten sich im Unterricht besser konzentrieren, heisst es als Begründung der Schulleitung. In den Pausen werde Fussball gespielt, Gespräche geführt oder andere Aktivitäten genutzt. Eine kurze Umfrage bei den Schülerinnen und Schülern zeigt: Auch dort wird das Verbot begrüsst. Einer meint gar, dass es sich nach einigen Stunden wie Luxus anfühle, wenn er sein Smartphone wieder aktivieren könne.

Befreiend für die Kinder

Auch andernorts werden bereits entsprechende Handyverbote geprüft – so beispielsweise in Los Angeles. Schule mit Handyverbot hätten «unglaubliche Ergebnisse gemeldet», so die Begründung. Die Kinder seien glücklicher, würden miteinander reden und ihre Noten verbessern.

Fakten, die auch Ostschweizer Politikerinnen und Politiker offenbar nicht kalt lassen. «Wenn es gelingt, eine handyfreie Schule zu erarbeiten, wirkt das für die Schulkinder befreiend, entspannend und fördert die echten Sozialkontakte und -kompetenzen», sagt Ruedi Blumer, Alt-Kantonsrat der SP und ehemaliger Schulleiter.

So sehr er ein Verbot begrüssen würde, ist er sich auch bewusst, wie schwierig und anspruchsvoll der Weg bis dahin werden würde. Das Lehrpersonenteam inklusive der Schulsozialarbeit, Hauswart- und Tagesstrukturpersonal müsse vom Wert der handyfreien Schule überzeugt und gewillt sein, dieses auch durchsetzen. Wenn diese Voraussetzungen gegeben seien, würde es sich lohnen, die handyfreie Schule konsequent anzustreben, allenfalls zeitlich beschränkt und mit begründeten Ausnahmen.

Handys wurden eingezogen

Ruedi Blumer war von 2001 bis 2018 als Schulleiter an einer Primarschule tätig. Zusammen mit der Schulsozialarbeiterin hat er das Thema Handy und dessen sinnvolle Nutzung stark und immer wieder thematisiert. An besagter Schule galt eine Handyverbot. «Wenn in der Pause, vor oder nach der Schule Kinder beim Nutzen des Handys erwischt wurden, wurde das Handy eingezogen. Die Eltern konnten es in den kommenden Tagen bei mir abholen – wobei ich die Gelegenheit genutzt habe, um ihnen den Wert des Handyverbotes nochmals zu vermitteln. Das hat funktioniert und zeigte Wirkung.»

Noch heute stehe in der Hausordnung «seines» damaligen Schulhauses, dass elektronische Geräte zu Hause bleiben sollen.

Eigene Regeln

Einen verantwortungsvollen Umgang mit Smartphones möchte auch Franziska Steiner-Kaufmann, Mitte-Präsidentin des Kantons St.Gallen, erreichen. Dieser müsse vor allem da thematisiert werden, woher das Gerät stamme – nämlich aus dem Elternhaus. Jedoch müsse auch die Schule ihren Anteil leisten, was sie ihrer Meinung nach aber bereits tue. «Einerseits passiert das durch entsprechende Lerneinheiten und eigene Regeln im Schulbetrieb. Andererseits bieten viele Schulen den Eltern Fortbildungsveranstaltungen an, wo sie praxisnahe Tipps zum Thema Umgang mit digitalen Medien erhalten.»

Eine Praxis, bei welcher Smartphones auf dem Schulareal und aus dem Schulzimmer mehrheitlich verbannt werden, begrüsst sie. «In der Pause sollen die Kinder und Jugendlichen ein analoges Miteinander auf allen Ebenen erleben – dies wird mit den omnipräsenten Smartphones erschwert.» Ebenso sinnvoll sei es jedoch, die Geräte im Unterricht und für ausgewählte Projekte einzusetzen, sodass die Schülerinnen und Schüler das Smartphone nicht nur als «Konsum- und Freizeitgut», sondern eben auch als nützliches Arbeitsgerät kennenlernen.

Grosse Ablenkungsgefahr

SVP-Nationalrätin Diana Gutjahr stellt sich zwar grundsätzlich gegen mehr Verbote und appelliert stattdessen an die Eigenverantwortung. Etwas differenzierter sieht sie es jedoch beim Thema Smartphone. «Ich sehe es beispielsweise bei uns im Familienbetrieb, wie sich die Situation mit den Handys über die letzten Jahre verschlimmert hat. Die Jugendlichen können immer weniger damit umgehen und verlieren sich in der virtuellen Welt.»

Viele Jugendlichen seien überfordert und können sich nicht mehr auf das Wesentliche konzentrieren. Die Ablenkungsgefahr sei schlicht zu hoch, und ehrlicherweise stelle man das oftmals auch bei sich fest. Als Mutter würde sie es deshalb befürworten, wenn Schulen während der Lektionen die Handys verbieten würden.

Dies wurde bereits von einigen Lehrern während ihrer Berufsschulzeit so praktiziert. Gutjahr behält dies als positive Methode in Erinnerung. Ein kantonales Gesetz fände sie jedoch übertrieben. Ein Verbot könne in der Schulordnung integriert werden – mehr Bürokratie brauche es nicht.

Das Leben danach

Im Betrieb von Diana Gutjahr werden teilweise die Handys der Auszubildenden eingezogen. Während der Pause können die Geräte abgeholt werden. Dies sei ein Bestandteil der Hausordnung – wie auch das Rauch- und Alkoholverbot. «Die Eltern unserer Auszubildenden begrüssen das und wären froh, zu Hause würde das auch so einfach funktionieren, wenn Hausaufgaben gemacht werden. Wer damit also nicht einverstanden ist, zeigt doch offensichtlich, dass man damit ein Problem hat und Hilfe braucht», ist sie überzeugt.

Schlussendlich gehe es darum, dass die Kinder und Jugendlichen so viel Lernstoff für möglich aufnehmen können, um für das Leben danach gerüstet zu sein. Da müssen Störfaktoren, die einfach beseitigt werden können, sofort eliminiert werden. Für sie steht fest: «Niemand wird sich dagegen stellen wollen – und falls doch, sind es wohl die gleichen Personen, die sich beschweren, wenn ihre Kinder schlechte Noten schreiben.»

(Bilder: Depositphotos/pd)

Einige Highlights

Uzwilerin mit begrenzter Lebenserwartung

Das Schicksal von Beatrice Weiss: «Ohne Selbstschutz kann die Menschheit richtig grässlich sein»

am 11. Mär 2024
Im Gespräch mit Martina Hingis

«…und das als Frau. Und man verdient auch noch Geld damit»

am 19. Jun 2022
Das grosse Gespräch

Bauernpräsident Ritter: «Es gibt sicher auch schöne Journalisten»

am 15. Jun 2024
Eine Analyse zur aktuellen Lage

Die Schweiz am Abgrund? Wie steigende Fixkosten das Haushaltbudget durcheinanderwirbeln

am 04. Apr 2024
DG: DG: Politik

«Die» Wirtschaft gibt es nicht

am 03. Sep 2024
Gastkommentar

Kein Asyl- und Bleiberecht für Kriminelle: Null-Toleranz-Strategie zur Sicherheit der Schweiz

am 18. Jul 2024
Gastkommentar

Falsche Berechnungen zu den AHV-Finanzen: Soll die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt werden?

am 15. Aug 2024
Gastkommentar

Grenze schützen – illegale Migration verhindern

am 17. Jul 2024
Sensibilisierung ja, aber…

Nach Entführungsversuchen in der Ostschweiz: Wie Facebook und Eltern die Polizeiarbeit erschweren können

am 05. Jul 2024
Pitbull vs. Malteser

Nach dem tödlichen Übergriff auf einen Pitbull in St.Gallen: Welche Folgen hat die Selbstjustiz?

am 26. Jun 2024
Politik mit Tarnkappe

Sie wollen die angebliche Unterwanderung der Gesellschaft in der Ostschweiz verhindern

am 24. Jun 2024
Paralympische Spiele in Paris Ende August

Para-Rollstuhlfahrerin Catherine Debrunner sagt: «Für ein reiches Land hinkt die Schweiz in vielen Bereichen noch weit hinterher»

am 24. Jun 2024
Politik extrem

Paradox: Mit Gewaltrhetorik für eine humanere Gesellschaft

am 10. Jun 2024
Das grosse Bundesratsinterview zur Schuldenbremse

«Rechtswidrig und teuer»: Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnt Parlament vor Verfassungsbruch

am 27. Mai 2024
Eindrucksvolle Ausbildung

Der Gossauer Nicola Damann würde als Gardist für den Papst sein Leben riskieren: «Unser Heiliger Vater schätzt unsere Arbeit sehr»

am 24. Mai 2024
Zahlen am Beispiel Thurgau

Asylchaos im Durchschnittskanton

am 29. Apr 2024
Interview mit dem St.Galler SP-Regierungsrat

Fredy Fässler: «Ja, ich trage einige Geheimnisse mit mir herum»

am 01. Mai 2024
Nach frühem Rücktritt: Wird man zur «lame duck»?

Exklusivinterview mit Regierungsrat Kölliker: «Der Krebs hat mir aufgezeigt, dass die Situation nicht gesund ist»

am 29. Feb 2024
Die Säntis-Vermarktung

Jakob Gülünay: Weshalb die Ostschweiz mehr zusammenarbeiten sollte und ob dereinst Massen von Chinesen auf dem Säntis sind

am 20. Apr 2024
Neues Buch «Nichts gegen eine Million»

Die Ostschweizerin ist einem perfiden Online-Betrug zum Opfer gefallen – und verlor dabei fast eine Million Franken

am 08. Apr 2024
Gastkommentar

Weltweite Zunahme der Christenverfolgung

am 29. Mär 2024
Aktionswoche bis 17. März

Michel Sutter war abhängig und kriminell: «Ich wollte ein netter Einbrecher sein und klaute nie aus Privathäusern»

am 12. Mär 2024
Teuerung und Armut

Familienvater in Geldnot: «Wir können einige Tage fasten, doch die Angst vor offenen Rechnungen ist am schlimmsten»

am 24. Feb 2024
Naomi Eigenmann

Sexueller Missbrauch: Wie diese Rheintalerin ihr Erlebtes verarbeitet und anderen Opfern helfen will

am 02. Dez 2023
Best of 2023 | Meine Person des Jahres

Die heilige Franziska?

am 26. Dez 2023
Treffen mit Publizist Konrad Hummler

«Das Verschwinden des ‘Nebelspalters’ wäre für einige Journalisten das Schönste, was passieren könnte»

am 14. Sep 2023
Neurofeedback-Therapeutin Anja Hussong

«Eine Hirnhälfte in den Händen zu halten, ist ein sehr besonderes Gefühl»

am 03. Nov 2023
Die 20-jährige Alina Granwehr

Die Spitze im Visier - Wird diese Tennisspielerin dereinst so erfolgreich wie Martina Hingis?

am 05. Okt 2023
Podcast mit Stephanie Stadelmann

«Es ging lange, bis ich das Lachen wieder gefunden habe»

am 22. Dez 2022
Playboy-Model Salomé Lüthy

«Mein Freund steht zu 100% hinter mir»

am 09. Nov 2022
Neue Formen des Zusammenlebens

Architektin Regula Geisser: «Der Mensch wäre eigentlich für Mehrfamilienhäuser geschaffen»

am 01. Jan 2024
Podcast mit Marco Schwinger

Der Kampf zurück ins Leben

am 14. Nov 2022
Hanspeter Krüsi im Podcast

«In meinem Beruf gibt es leider nicht viele freudige Ereignisse»

am 12. Okt 2022
Stölzle /  Brányik
Autor/in
Manuela Bruhin

Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.