Nach rund 48 Stunden sind Streulis aus Bischofszell endlich in ihrem Hotel in der Karibik angekommen. Punta Cana auf der Dominikanischen. Ein Schnäppchen war’s, und das macht sich nun bemerkbar.
Peter Streuli versuchte zuerst mit einer eleganten Handbewegung, die Türe zum Hotelzimmer aufzustossen. Sie machte keinen Wank. Also stemmte er sich dagegen. «Na, geht doch», sagte er, aber der Anblick des Zimmers verschlug ihm dann doch die Sprache. Statt wie bestellt zwei Räume, einer für Marlis und ihn, der andere für die Kids, standen zwei Doppelbetten nebeneinander in einem Raum. Ungemacht. Trotz einem schief hängenden Vorhang vor dem Fenster brannte die karibische Sonne unbarmherzig ins Zimmer, das ungefähr 45 Grad heiss war.
Streuli eilte zur Klimaanlage und drückte auf den Ein-Schalter. Nix. Sein Schweissausbruch verstärkte sich, bis Marlis ihn darauf aufmerksam machte, dass er die Magnetkarte in einen Halter neben der Türe stecken müsse. Nun sprang die Klimaanlage tatsächlich an, allerdings mit einem beeindruckenden Lärm. Aber immerhin, die Raumtemperatur sank langsam. Während sich seine drei Familienmitglieder auf die ungemachten Betten warfen, griff Streuli zum Telefon. Im Hörer kein Summton, nichts, tot.
«So nicht», sagte Streuli finster und machte sich auf den Weg zur Rezeption. Dass sich davor bereits eine Schlange von anderen Gästen gebildet hatte, konnte ihn nicht beeindrucken; Schlange, das konnte er inzwischen. Nach nur einer Stunde stand er dann vor einem neutral blickenden Rezeptionisten, der den Kopf schüttelte, als Streuli «Deutsch?» sagte. «Englisch?» Ein leises Kopfwackeln, «a little, but I speak español, sabe.» Den letzten Teil hatte Streuli nicht ganz verstanden, aber mit Händen und Füssen erklärte er, dass das Bett ungemacht und das Zimmer eine Zumutung sei. «I send room service, cleaning woman, no problem», sagte der Rezeptionist.
Streuli setzte nun zu einer Erklärung an, dass er zwei getrennte Zimmer bestellt habe, kein Doppelzimmer mit zwei Betten. Das schien aber die Englischkenntnisse des Rezeptionisten zu übersteigen, «no problem, room service comes», sagte er immer wieder verbindlich. Streuli wusste inzwischen, wann man aufgeben muss. Bevor er weggewedelt wurde, brachte er noch ein letztes Anliegen vor. « You have Italian restaurant, four people, at two o’clock.»
Der Rezeptionist legte leises Bedauern in seine Stimme und sagte: «No, you make reservation at the restaurant. But closed at 2 pm. You can eat at the buffet 24 hours a day.» Also wankte Streuli durch die Mittagshitze zu seinem Hotelblock zurück und erklomm nochmals die Treppen in den vierten Stock. Immerhin war die Raumtemperatur etwas gesenkt worden, er schätzte auf nicht mehr als 30 Grad. Erschöpft sank er neben seiner Marlis ins ungemachte Bett und schlief sofort ein.
Es dämmerte bereits draussen, als Familie Streuli wieder aufwachte. Einer nach dem anderen stellte sich unter das dünne Rinnsal an Wasser, das aus einem ziemlich verrosteten Duschkopf tröpfelte. Lauwarm. «Ja nicht trinken», ermahnte Peter seine Familie, als ob jemand daran denken würde, das stark nach Chlor riechende, leicht bräunliche Wasser zu schlucken.
Streuli sah es als seine Aufgabe als Familienoberhaupt an, gute Laune zu verbreiten und grosse Ankündigungen zu machen. «Ist nicht alles optimal gelaufen», hob er an, «aber nun machen wir das Beste draus. Morgen decken wir uns mit Kleidern ein, die haben hier sicher einen Shop. Und jetzt probieren wir das italienische Restaurant aus, das ist sicher besser als das Buffet.»
Streuli bemerkte, dass damit nicht wirklich Ferienlaune ausbrach, aber man hatte einen Bärenhunger, also folgte man ihm brav, als er mittels des Plans mit nur kleinen Umwegen das italienische Restaurant «Mamma mia» ausfindig machte. An der Türe hatte es, Streuli ahnte das schon, eine Schlange. Bloss zwanzig Minuten später holte er sich die Auskunft ab, dass leider alles besetzt sei, aber für morgen könne man gerne eine Reservation machen.
Streulis wankten nun zum Buffet-Restaurant. Das stand unübersehbar in der Mitte der Anlage und strahlte den etwas herben Charme einer Betriebskantine aus. Einer riesigen Kantine. Das müssen ja fast 1000 Gäste sein, vermutete Streuli, als man endlich vier freie Plätze an einem langen Tisch gefunden hatte. Streuli schob benutztes Geschirr auf die Seite und erteilte neue Befehle. «Ich halte hier die Stellung, ihr bedient euch am Buffet. Und wenn ihr irgendwo etwas zu trinken seht, ich hätte gerne ein Glas Weisswein und Mineral mit.»
Streuli schreckte aus einem leichten Schlaf auf, als er eine halbe Stunde später von Marlis angestupst wurde. «Weisswein kostet extra, gratis sind nur einheimische Getränke, ich habe dir ein Bier mitgebracht», verkündete sie. Lauwarm, stellte Streuli mit einem Griff fest und seufzte. Als er sah, was sich seine Familie auf die Teller geklatscht hatte, nahm er dennoch einen kräftigen Schluck.
«Morgen», verkündete er matt, «morgen fangen dann die Ferien aber wirklich an. Strand, Meer, das wird fantastisch.» Niemand schenkte ihm so richtig Glauben. Keiner war überrascht, als sie ins Zimmer zurückkamen und die Betten immer noch nicht gemacht worden waren. Aber Streulis wussten inzwischen, wann man aufgeben muss. Alle sanken in tiefen Schlaf. Nur Marlis verbrachte die halbe Nacht auf der Toilette, sie hätte vielleicht doch nicht den Fisch probieren sollen. Und die Reiseapotheke war leider mit dem Koffer irgendwo zurückgeblieben.
Aber als dann ein tropischer Sonnenaufgang kurze Zeit goldene Lichtstrahlen ins Zimmer schickte, schauten sich Marlis und Peter aufmunternd an: «Jetzt kommt alles gut», sagte er. So kann man sich täuschen.
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