logo

Die Corona-Chronik (2)

Als der Vergleich mit der Grippe noch statthaft war

Ziemlich ansteckend, aber mit Symptomen wie bei einer «normalen» Grippe: Das war die verbreitete Auffassung von Experten im Februar 2020. Nicht lange danach wurde der Vergleich aus dem Diskurs verbannt. Ein Rückblick auf die Phase vor der allgemeinen Hysterie.

Stefan Millius am 31. Mai 2021

«'Das Virus ist zwar sehr ansteckend, auch deshalb, weil es sich um ein neues Virus handelt und entsprechend keine Immunität in der Bevölkerung besteht.'Gemäss aktuellem Wissensstand verlaufe die Erkrankung aber meist relativ mild. 'Die Symptome sind vergleichbar mit jener einer saisonalen Grippe.'»

Das Zitat stammt vom 27. Februar 2020 aus der «Luzerner Zeitung». Ausgesprochen hat es sagt Sonja Bertschy, Leitende Ärztin und stellvertretende Chefärztin der Abteilung Infektiologie und Spitalhygien am Kantonsspital Luzern. Sie war damit nicht alleine. Vor 15 Monaten war es gang und gäbe, Parallelen zur bekannten Grippe zu ziehen. Zum einen, weil es unter den zunehmenden Fällen viele gab, die ganz einfach ähnlich verliefen, was die Krankheitssymptome angeht. Zum anderen, weil man schwerere Verläufe und daraus folgende Hospitalisationen ebenfalls schon von der Grippe her kannte. Es wurde einfach kaum thematisiert.

Eine damals bereits erwähnte Gefahr war – und ist – durchaus nachvollziehbar: Dass schwere Fälle von Covid-19 und der Grippe im gleichen Zeitraum das Gesundheitssystem stark beanspruchen könnten. Allerdings verschwand die Influenza bald danach bekanntlich aus den Statistiken, was Corona die «alleinige Karriere» als Virus ermöglichte. Und dafür sorgte, dass jede Belegung von Intensivstationen allein ihm zugeschrieben wurden.

Die breite Öffentlichkeit blieb im Februar 2020 entspannt. Das «Badener Tagblatt» konfrontierte Leute auf der Strasse mit der Frage: «Haben Sie Angst vor dem Corona-Virus?» Eine Auslese der Antworten:

«Meiner Meinung nach wird es von den Medien aufgebauscht.» – «Je mehr Gedanken man sich macht, desto eher bekommt man den Virus letztlich.» – «Ich desinfiziere regelmässig die Hände und meide hustende Personen. Aber das habe ich schon immer gemacht.» – «Ich denke, dass es viel schlimmere Krankheiten gibt als diejenige, die durch das Corona-Virus verursacht wird.» – «Ich wünsche mir, dass es mehr sachliche Informationen gäbe. Man sollte aufklären, woher das Corona-Virus kommt, anstatt dass man nur Ängste schürt.»

Vereinzelt sagten Leute, dass sie tendenziell Menschenansammlungen meiden oder sich vermehrt die Hände desinfizieren. Masken waren kein Thema, auch sonst sprach kaum jemand von veränderten Lebensgewohnheiten. Zumindest in der breiten Bevölkerung war die Gelassenheit gross.

Aber schon im Februar 2020 gab es Leute, die aktiv dagegen hielten. Zum Teil Personen, die später eine wichtige Rolle spielten bei der Wahrnehmung des Virus. Wie der Epidemiologe Christian Althaus, der danach Teil der Task Force war, die er dann mit einigem Getöse wieder verlies. Bei SRF liess er einen ersten Trommelwirbel erklingen, mit dem die Menschen angesichts der vermeintlichen Gefahr geweckt werden sollten. Interessanterweise bemühte er auch damals noch den Vergleich mit der Grippe und benutzte Wörter wie «relativ»:

«Das Corona-Virus ist relativ ansteckend – vergleichbar mit einer saisonalen Influenza, aber auch mit SARS. (…) Die normale saisonale Grippe ist auch nicht ungefährlich, etwa zehn Prozent der Bevölkerung infizieren sich jedes Jahr. In der Schweiz sind das etwa 800'000 Leute, wovon vielleicht eine von 1000 Personen stirbt. Das Corona-Virus hat mittlerweile das Potenzial für eine globale Pandemie. Es könnte sich also ein bedeutender Anteil der Weltbevölkerung infizieren. Im Moment muss man davon ausgehen, dass die Sterblichkeit pro infizierte Person etwas höher ist als bei einer saisonalen Influenza. Wenn die Sterblichkeit bei etwa einem Prozent aller infizierter Personen liegen würde, könnte das zu etwa acht Millionen Todesfällen weltweit führen.»

Chronik

Zahlen wie dieses eine Prozent oder acht Millionen würden später noch oft auftauchen. Aus der Luft gegriffene, nicht einmal auf Modellen, sondern nur auf Mutmassungen basierende Nummern, dazu angetan, Panik zu verbreiten. Mit Stichtag 31.5.21 sind laut dem Statistikportal «Worldometer» bis heute 3,5 Millionen Menschen am Coronavirus verstorben. Wobei bekanntlich selbst diese Zahl mit Vorsicht zu geniessen sind, weil global völlig unterschiedliche Definitionen darüber existieren, wann ein Todesfall dem Virus zuzuschreiben ist.

Es lohnt sich heute auch, kleine Details aus damaligen Äusserungen zu extrahieren. SRF zitierte Alexandra Trkola, Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie der Universität Zürich beispielsweise wie folgt:

«Zurzeit hoffen alle, die weltweite Verbreitung eindämmen zu können. Beim Sars-Virus ist dies gelungen und es wäre grossartig, wenn sich das wiederholen würde.»

SARS – das Kürzel steht für das «Schwere Akute Respiratorische Syndrom» – ist heute vielen kaum mehr ein Begriff. Was auch daran liegt, dass es damals weder zur Maskenpflicht noch zu geschlossenen Schulen oder Restaurants oder einer Impfoffensive kam. Wurde SARS wirklich eingedämmt – oder verschwand es irgendwann einfach bis zur Unkenntlichkeit? Beim Hinweis auf solche Vergleiche heisst es stets, man habe im Februar 2020 eben vieles noch nicht gewusst, was Covid-19 betrifft, man habe sich in einem frühen Stadium befunden. Im Rückblick stellt sich aber die Frage: Ist das Coronavirus so viel gefährlicher und ansteckender als frühere Viren oder wurde – ebenfalls sehr früh – dieser Eindruck aktiv vermittelt, kombiniert mit künstlich hochgehaltenen Zahlen rund um Testresultate und Intensivstationsbelegungen?

Vieles spricht für Option 2. Denn ebenfalls im Februar ging es los in den Kantonen. Sie meldeten den Medien die ersten Todesfälle und taten das danach über eine lange Zeit konsequent. Ein Novum in der Geschichte. Wer jeden Tag in seiner Lokalzeitung von einem neuen Todesopfer liest, erhält – weil ihm die Verhältnismässigkeit nicht vor Augen geführt wird – den Eindruck, hier grassiere eine alles dahinraffende Seuche. Wo genau war der Nutzwert dieser Information, was brachte es der Bevölkerung, zu erfahren, dass im Kanton Thurgau gerade die zweite Person an Covid-19 verstorben ist – ausser einer erhöhten Bereitschaft, die Gegenmassnahmen zu schlucken?

Gleichzeitig vermeldeten Zeitungen aus unserem Nachbarland, dass es «bereits zehn bestätigte Fälle des Coronavirus in Deutschland» gäbe. Zum gleichen Zeitpunkt wurde in der Schweiz schon die Homeoffice-Pflicht diskutiert. Ein krasses Missverhältnis oder eine vorausschauende Politik zum Wohl der Volksgesundheit?

Und das «schönste» Müsterchen zum Schluss. SRF sammelte Fragen aus dem Zuhörerkreis und liess sie von Experten beantworten. Eine lautete: «Einige sagen, dass das Corona-Virus nicht schlimmer ist als die saisonale Grippe. Ist die Aufregung nicht übertrieben?»

Die Antwort lautete:

«Wie gefährlich das Corona-Virus im Vergleich zur saisonalen Grippe ist, kann man momentan noch nicht sicher sagen. Sie haben aber sehr wohl recht, dass wir uns vor allem mit der saisonalen Grippe beschäftigen sollten. Grippeinfektionen gibt es tatsächlich jedes Jahr viele in der Schweiz, und man kann sich durch eine Impfung schützen.»

Wir sollten uns vor allem mit der saisonalen Grippe beschäftigen: Ein Zitat aus dem Februar 2020, bevor alles ganz anders wurde.

Mehr in der «Corona-Chronik», Teil 3.

Stölzle /  Brányik
Autor/in
Stefan Millius

Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.