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Eine Serie von «Die Ostschweiz» - 3/8

Das Inferno am See - Teil 3

Die Suche nach einem Motiv: Sie ist eines der Schlüsselelemente bei der Aufklärung eines Verbrechens. Im Fall des Grossbrands auf dem Raduner-Areal in Horn stand für die Ermittler schnell fest: Es ging um Geld. Und nur ein Mann hatte diesbezüglich etwas zu gewinnen.

Stefan Millius am 08. März 2020

Teil 1 dieser Serie finden Sie hier.

Teil 2 dieser Serie finden Sie hier.

Teil 3: Das grosse Geld auf einen Schlag

Die Gier ist eine der sieben Todsünden. Sie umschreibt das, was man umgangssprachlich als «den Hals nicht voll kriegen» bezeichnet. Und gemeint sind meist Menschen, denen es eigentlich bereits gut geht, die aber immer noch mehr wollen.

Gier, das vorab, war kaum die treibende Kraft bei der Brandstiftung auf dem Raduner-Areal in Horn. Wenn Ernst M., dem der Prozess gemacht werden wird, wirklich der Täter war, dann nicht, weil er von einem guten Stand aus noch reicher werden wollte. Ihm und seiner Ehefrau stand eher das Wasser bis zum Hals. Und er war der einzige, der nach dem Brand hätte abkassieren können – wenn das Feuer nicht als Brandstiftung enthüllt worden wäre. Es ist ein klassisches Tatmotiv.

Die Kantonspolizei Thurgau legte deshalb früh sehr viel Gewicht auf die Untersuchung der finanziellen Situation von Ernst M., den sie schnell als Tatverdächtigen ausmachte. Dabei zeigte sich: Es stand nicht gut. Die beiden bewohnen – nach wie vor – ein Einfamilienhaus in Kesswil, das der Restpo gehört, dem Unternehmen, das auf dem Raduner-Areal als Untervermieter der Hallen und Räume auftrat. «Die privaten finanziellen Verhältnisse sind überschaubar», heisst es im Abschlussbericht der Kantonspolizei diplomatisch.

Hohe Schulden

Die vorhandenen Vermögenswerte seien «überschaubar». Und auch der stetige Geldfluss war nicht allzu üppig. 2013 und 2014 hatte sich Ernst M. von seiner Restpo zwei Mal 27'000 Franken als Lohn ausbezahlt, im Brandjahr 2015 war die Lohnauszahlung «nicht ersichtlich». Seine Frau, Senada M., verdiente am Kantonsspital St.Gallen 61'000. Der gesamten Lohnsumme von fast 90'000 Franken standen allerdings Schulden gegenüber, die sich aus zwei Darlehen zusammensetzten. Auch diese sind teilweise undurchsichtig. Ernst M. wies in seiner Steuererklärung ein Darlehen von über 110'000 Franken eines gewissen Heinz M. aus, doch in dessen Steuererklärung tauchte das Darlehen nicht auf.

Eine weitere Schuld entstand aus dem Verlauf der Aktien der Restpo durch den St.Galler Immobilienunternehmen Ralf K. im Juni 2014 an Senada M. Der Kaufpreis lag bei 99'000 Franken, dafür gewährte K. ein Darlehen, das mit 1000 Franken pro Monat amortisiert werden sollte. Die Ermittler gehen davon aus, dass zum Zeitpunkt des Brands noc eine Schuld von 90'000 Franken offen war. Was mit dem Darlehen von 110'000 Franken durch Heinz M. geschah, liess sich nicht mehr eruieren.

So oder so: Das Ehepaar Ernst und Senada M. sass auf einem Schuldenberg, der durch die normale Einkünfte nicht in nützlicher Frist getilgt werden konnte. Auch aus einem alten Konkurs Mitte der 90er-Jahre waren laut den Ermittlern noch Altschulden vorhanden. Dieser Konkurs war auch der Grund, dass die Aktien der Restpo nicht an Ernst M. gingen, der die Firma führte, sondern an seine Frau. Auch damals, 1996 oder 1997, trat Ralf K. auf den Plan und half Ernst M., indem er Liegenschaften übernahm oder Hypotheken ablöste, wie es im Schlussbericht heisst.

Und ein hoher Versicherungswert

Die Restpo AG hat offenbar nicht schlecht gearbeitet, die Liquiditätslage in den Jahren 2012 bis 2014 wird als gut beschrieben, jedenfalls ausreichend fürs Tagesgeschäft. Forderungen gab es ebenfalls kaum. Der Warenvorrat wurde mit 30'000 Franken bilanziert. Aber versichert, und nun geht es in den Kern der Sache, war er mit 400'000 Franken. Dafür gibt es zumindest teilweise eine Erklärung: Bilanziert werden Gegenstände höchstens zu ihrem Anschaffungswert, und bei Brockenhausartikeln liegt dieser meist tief, bei Schenkungen sogar bei Null.

Raduner Brand

Breitet man diese finanzielle Ausgangslage aus, stellt sich die Frage: War die Situation verzweifelt genug, dass Ernst M. einen Brand legen musste, um an Geld zu kommen? Auch die Ermittler stellten diese Überlegung an. Denn das Ehepaar M. konnte seinen Lebensunterhalt aus den Einkünften durchaus bestreiten. Doch es könne dennoch nicht ausgeschlossen werden.

Denn zum Zeitpunkt des Brands stand M. vor einer veränderten Lage. Er hätte dafür sorgen müssen, dass alle Mieter – seine Untermieter – das Areal rechtzeitig räumen. Und möglicherweise hätte M. dafür geradestehen müssen, wenn das nicht möglich gewesen wäre. Auch Entsorgungskosten drohten dem «Papi des Areals», denn von seiner Hauptmieterin hatte sich viel wertloser Trödel auf dem Gelände angesammelt. Und schliesslich hätte er wohl nach neuen – und sicherlich teureren Räumen – suchen müssen nach Ablauf der Kündigungsfrist.

Schlechte Finanzprognosen

Die Ermittler führen auch an, dass Ernst M. selbst zugab, das Geschäft sei schwieriger geworden, ausserdem war er gesundheitlich angeschlagen. Bei einer Verschlechterung der finanziellen Situation wäre wohl auch sein Einfamilienhaus in Kesswil zur Disposition gestanden. Alles in allem, so die Bilanz der Kantonspolizei, war der Status quo nicht verheerend, aber die Zukunftsaussichten schlecht.

Seit 1999 hatte die Restpo AG eine Haftpflicht- und Sachversicherung. Die Deckung war 2005 von 150'000 auf 400'000 Franken erhöht worden. Das Feuer verursachte in erster Linie Rauch- und Russschaden. Nach dem Augenschein offerierte der Schadeninspektor Ernst M. 200'000 Franken – eine befristete Pauschalofferte. Am 2. September, einen Monat nach dem Brand, unterschrieb Senada M. eine Entschädigungsvereinbarung über 220'000 Franken.

Vieles in den Unterlagen deutet darauf hin, dass die Deckung von 400'000 Franken im Schadensfall nicht realistisch war. Der zuständige Versicherungsfachmann gab zu Protokoll, die Einstandspreise der Waren und Einrichtungen seien «durch die Sachlage und das Fachwissen von Ernst M. bestimmt worden.» Er selbst habe «keine speziellen Kenntnisse in solchen Handelsbereichen.» Ein Veranlagungsexperte war 2014 zum Schluss gekommen, es handle sich um «alten Gerümpel aller Art». Das Warenlager sei wertlos.

Gegenüber der Polizei behauptete Ernst M. stets, er habe sich über die Versicherung kaum Gedanken gemacht, die Ermittler hatten aber den Eindruck, «die Wichtigkeit der Versicherungsleistung sei offenkundig» gewesen. Dafür spreche auch das Tempo, in dem Ernst M. Fachpersonen zuzog und eine rasche, pauschale Schadenregulierung suchte.

Aus dem Ruder gelaufen?

In Horn brannte es am 3. August 2015. Am 4. August 2015, einen Tag später, zeigt eine Überwachungskamera, wie Senada M. um 9.39 Uhr bei der UBS in Flawil auftaucht. Dort verlangt sie Zutritt zum Banksafe. Die ungewöhnliche Eile wirft Fragen auf. Wenn Ernst M. den Brand gelegt hat - es gilt nach wie vor die Unschuldsvermutung -, war es dann so, dass sich das Feuer sehr viel stärker entwickelt hatte als vorgesehen? War geplant, nur den «wichtigen» Teil des Areals abzufackeln? Wurde durch das Inferno am See der Druck, den M. mutmasslich loswerden wollte, nur noch grösser?

Dafür spricht auch, dass Ernst M. eine Woche nach dem Brand versuchte, sich das Leben zu nehmen.

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Autor/in
Stefan Millius

Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.

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