Quasi live aus Frankreich: Paris brennt – die Schweizer müssen «brennen».
Ich kam gestern Abend hier in Paris an. Weite Teile der Stadt glichen einer Festung. Heute Morgen ist es ruhiger als in den letzten Tagen und Wochen. Da waren tausende Polizisten und zehntausende randalierende «Gilets Jaunes» vor lauter Rauch und Tränengas kaum mehr voneinander zu unterscheiden.
Monumente sind verschmiert und zerstört. Allein am stolzen Triumphbogen entstand ein Schaden in Millionenhöhe.
Am Wochenende werde dann wieder voll gewütet. Heisst es. Die Luft ist zum Schneiden dick. Angst überall. Zehntausende Krawallmacher sollen anreisen, auch aus dem Ausland.
Gemäss der renommierten Zeitung «Le Figaro» haben die Geheimdienste die Regierung folgendermassen informiert: «Es gibt Aufrufe zu Mord und sich zu bewaffnen, um sich die Parlamentarier, die Regierung und die Ordnungskräfte vorzunehmen.»
Aus dem Präsidentenpalast heisst es, gemäss der Zeitung «Le Monde»: «Das sind Putschisten; es ist nichts anderes als ein Putschversuch!»
Die Läden auf den Champs Elysées werden spätestens heute Abend verbarrikadiert. Anlässe wie das Fussball-Spitzenspiel zwischen Neymars PSG und dem FC Montpellier im berühmten Parc des Princes werden abgesagt.
Am Anfang hatten sich die Demonstrationen gegen die (zwischenzeitlich hinausgeschobene und am Mittwoch durch Macron höchstpersönlich aufgehobene) staatliche Zusatzbelastung auf Treibstoffe gerichtet. Aus diesem legitimen Protest sind die schwersten Ausschreitungen der letzten Jahrzehnte geworden.
Warum bin ich überhaupt in Paris? Wegen Sitzungen, heute Freitag und morgen Samstag. Thema: Was kann man gegen Wettkampfmanipulationen und Wettbetrug im Sport tun?
Am Sonntag wollte ich mich mit PSG-Managern und mit Mitarbeitern der beiden grossen Pariser Tennisturniere (Roland Garros, Bercy) zum gleichen Thema austauschen. Doch die Leute sind nicht da. Wer kann, flüchtet aus der Stadt.
Sie wollen nicht von den Randalierern oder (zusammen mit den Chaoten) von der Polizei niedergeknüttelt werden.
Was ist bis jetzt passiert?
Seit Wochen protestieren in ganz Frankreich hunderttausende Menschen, viele von ihnen in gelben Westen. Aus den friedlichen Kundgebungen gegen höhere Benzin- und Dieselpreise sind Strassenschlachten geworden.
Bis heute sind hunderte Menschen verletzt worden, einige gar getötet. Mehr als 400 Kundgebungsteilnehmer wurden festgenommen.
«Macron jettet lieber um die Welt und hat seine grossen Auftritte, anstatt sich um unser Land zu kümmern», empörte sich gestern Abend die Frau, welche mir die Metrotickets verkaufte.
Am Schlimmsten aber sei, dass er so tue, als ob er ein Befürworter der Direkten Demokratie nach Schweizer Muster sei. «Das sagt genau dieser Möchtegernmonarch. Lächerlich ist das!»
Die Proteste richten sich also nicht nur gegen die Klimapolitik des Präsidenten, sondern gegen dessen Amtsführung und das zentralistische System. Die Regionen und die Menschen haben nichts zu sagen.
Die Manifestationen sind weder von Gewerkschaften noch von Parteien organisiert. Menschen jeden Alters protestieren in den Strassen, es hat Linke und Rechte.
Und es hat immer mehr Vermummte. Jene Deppen (ich darf das sagen, denn ich will ja nicht Bundesrat werden…) muss man nicht ernst, sondern hart dran nehmen.
Warum die Eskalation?
Erstens: Die wachsende soziale Ungleichheit ist in Frankreich schon lange ein Problem – wie die enormen Unterschiede zwischen Paris und dem ländlichen Raum.
Zweitens: Der abgehobene Macron hat es verpasst, den Franzosen die (durchaus notwendigen) Reformen verständlich zu machen.
Drittens: Macron wollte der grossen politischen Welt gefallen und sich als Klimaretter aufspielen. Als er dann nicht mehr nur schön redete, sondern mittels Ökozuschlägen zu handeln versuchte, brachte er das Fass zum Überlaufen.
Was läuft derzeit in der Schweiz?
In diesen Wochen sind der National- und der Ständerat daran, die Benzinpreise bei uns zu erhöhen - und zwar um mehr als um den (wieder gestrichenen) «Macronzuschlag».
Schliesslich möchte das Parlament der abtretenden helvetischen Weltklima-Retterin Doris Leuthard ein Abschiedsgeschenk bescheren.
Schön, wenn man Milliardengeschenke machen kann, welche von anderen bezahlt werden!
Werden Bern und Zürich, Basel und Genf deshalb auch bald brennen? Nein. Wir haben eine andere politische Kultur als die Franzosen. Aber die Schweizer werden «brennen» müssen. Und zwar massiv.
Roland Rino Büchel (*1965) ist seit 2010 Nationalrat für die SVP des Kantons St. Gallen. Der Rheintaler ist Mitglied der Büros des Nationalrats, der Aussenpolitischen Kommission und Europarats. Er steht für eine klar bürgerliche Politik und war bei der letzten grossen parlamentarischen Auswertung der Ostschweizer Nationalrat mit dem besten Rating.
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