Gerne schreibe ich ja über Gott und die Welt und die Pflanzen, aber aus aktuellem Anlass hat sich mir ein konkretes Gartenthema aufgedrängt: Noch nie haben wir so viele Anfragen bekommen, was mit hagelgeschädigten Pflanzen zu tun sei, wie man den Schaden beseitigen und der Pflanze helfen könne?
Leser, die selber noch keinen Hagelschaden kennengelernt haben, können viele der Ausführungen einfach auf andere äussere Schäden (Sturm, manchmal auch Frost, Wildschweine, Bauarbeiten) übertragen.
Der Hagelschaden und der Gärtner
Sie sind vielleicht erstaunt, dass ich nicht gleich mit den Pflanzen, den eigentlich Geschädigten beginne, aber der Gärtner in uns liegt mir, liegt uns doch noch etwas näher. Es sind UNSERE Pflanzen, es ist UNSER Werk, das in kürzester Zeit zerfetzt, zerschossen und im Kern getroffen wurde. Da ist Resilienz gefragt, jene Fähigkeit, sich kurz von äusseren Einflüssen zurückbiegen zu lassen, aber gleich wieder auf Normalposition zurückzuschnellen. "Bleib erschütterbar, doch widersteh!" dichtete Peter Rühmkorf in einer Gedichtzeile.
Mein Rat an die Gärtnerin und den Gärtner ist weniger poetisch als ganz pragmatisch: Schlafen Sie ein oder auch zwei Nächte nach dem Hagelschlag. Verdrängen Sie für einen Moment das Problem, und schauen Sie es sich nach zwei Tagen wieder an. Dies hat den Vorteil, dass die Pflanzen schon ganz gut zeigen können, was überlebt, was sich wieder aufrichtet, welche Blätter noch funktionstüchtig sind, welche Triebe weiterwachsen. Das Bild ist schon ein ganz anderes als direkt nach dem Hagelschlag.
Die Resilienz der Pflanze
Die zwei Karenztage lassen wie schon erwähnt auch den Pflanzen Zeit, ihre Resilienz zu zeigen, wieder aufzustehen, oder halt auch liegenzubleiben. Grundsätzlich unterschätzen wir systematisch die Widerstandkraft von Pflanzen, wir vergessen, dass sie Millionen von Jahren Zeit hatten, sich an diese und ähnliche Katastrophen zu gewöhnen. Hier bringe ich immer gerne das Beispiel, von dem ich inständig hoffe, dass es mir meine Leser auch einmal glauben: Die meisten Pflanzen können bis zu einem Drittel Verlust an Blattmasse, an Assimilationsfläche kompensieren, indem sie auf der restlichen Blattfläche intensiver Energie produzieren. Und gleich nach einem solchen Ereignis (wie z.B. dem Hagelschlag) schalten sie auf Notmodus und versuchen möglichst schnell, Wunden zu schliessen, fehlende Blattmasse wieder zu ersetzen und neue Triebe rauszustossen.
Wie können wir den hagelgeschädigten Pflanzen helfen – 10 praktisch umsetzbare Tipps:
Blätter: Normalerweise sind die Gärtner immer auf die Blätter fokussiert, verzweifeln an Löchern und abgeschlagenen Teilen. Lassen Sie alle Blätter an der Pflanze, die nach 2 Tagen noch einigermassen straff dastehen. Entfernen Sie bitte keine beschädigten oder gelöcherten Blätter. Die tun nur Ihnen weh, nicht der Pflanze…
Rückschnitt: Wenn die Pflanze mehr als zwei Drittel der Blattmasse verloren hat, muss die Front begradigt werden; es macht nur wenig Sinn, dass die Pflanze versucht, am seinerseits beschädigten Triebende bis zur Basis neue Blätter zu entwickeln, sie soll ihre Kraft auf weniger Baustellen konzentrieren können. Es ist also ein beherzter Rückschnitt gefragt. Als grobe Faustregel mag gelten: Schneiden Sie die Pflanze um ca. die Hälfte zurück, bei einem totalen Blattverlust ist ein Rückschnitt auf 30% des Volumens angezeigt. Bei Pflanzen mit einem lebensnotwenigen Gerüst (Spalierbäume, Spalierreben etc.) werden die Seitentriebe der Hauptäste entsprechend zurückgeschnitten, die Gerüstäste werden belassen.
Triebschäden: Der viel grössere und gefährlichere Schaden (als nur die zerfetzten Blätter) ist häufig bei holzigen Pflanzen an den Trieben selber zu finden; die Einschläge führen zu aufgeplatzten Rindenwunden, im schlimmsten Fall kann die Rinde regelrecht abgeschält sein. Sobald eine Wunde mehr als 50% des Rindenumfangs abgeschält hat, ist der nachgelagerte Ast zu entfernen; er wird in der verbleibenden Vegetationsperiode zu wenig mit Wasser und Nährstoffen versorgt werden können; die saubere und kleine Schnittwunde ist da das viel kleinere Übel.
Desinfektion: Die vielen offenen Blattnarben und Holzschäden sind Eintrittspforten für Krankheiten. Die Pflanze ist zwar in der Lage, diese Wunden weitgehend aus eigener Kraft wieder zu schliessen, wir können aber der Pflanze helfen, das Eindringen von Pilzen, Bakterien und anderen Schaderregern zu verhindern. In der Vergangenheit konnte man in solchen Situationen und mit gutem Erfolg Kupferpräparate einsetzen; dies ist aber in den meisten Ländern nicht mehr möglich, weil keine solchen Mittel mehr für den Hausgarten zugelassen sind. Ironischerweise – das sei in Klammern erwähnt – stehen sie dem Bioanbau aber weiterhin zur Verfügung… Alternativ empfehle ich den Einsatz von Effektiven Mikroorganismen (EM). Man kann sich das ganz bildlich vorstellen: Wir besetzen die offenen Wunden mit "guten" oder für die Pflanze neutralen Mikroorganismen und verhindern so die Besiedlung durch Schaderregern. Zu diesem Zweck wird in den 4 Wochen nach dem Hagelschaden wöchentlich ein EM-Blattpräparat gespritzt (zB. Terrafert Blatt), bitte von allen Seiten der Pflanze, so dass alle Wundstellen gut benetzt werden.
Der Faktor Zeit: Es ist klar, dass die Pflanze umso mehr Chancen zur Erholung hat, als der Hagelschaden früher geschieht… Da wir das aber nicht beeinflussen können, ist die Situation zu nehmen, wie sie halt ist… Bei einem Hagelschaden bis Ende Juli hat die Pflanze noch immer gute Chancen, sich zu regenerieren und zumindest teilweise genügend Reservestoffe für den Winter zu sammeln. Hier setzen wir Gärtner auch das ganze Arsenal an Hilfsmassnahmen ein: Rückschnitt, Desinfektion (siehe oben) und auch Düngung (siehe weiter unten). Bei einem Hagelschaden im August oder September verzichten wir weitgehend auf Düngung und starken Rückschnitt, schneiden nur noch definitiv abgebrochene Zweige weg und beschränken uns auf die Desinfektion – und auf die gute Hoffnung, dass die Pflanze durch den Winter kommen möge. Hoffnung hilft übrigens.
Düngen: Bei einem Hagelschaden bis Ende Juli darf gleich darauf gedüngt werden, um die Pflanze beim neuen Wachstum zu unterstützen. Bei einem Hagel im August oder September verzichtet man auf Düngung. Gedüngt wird mit möglichst schnell wirkenden Düngern. Wir empfehlen Flüssigdünger (Frutilizer® Instant Bloom), der die ersten 3-4 Wochen nach dem Hagelschlag und bis ca. Anfang August wöchentlich angegossen wird. Ist noch genügend Blattmasse vorhanden, können mit einer entsprechend tiefer konzentrierten Lösung auch die Blätter mit Blattdünger besprüht werden.
Ernte und Früchte und vorzeitige Blüten: Weiche, schon reif werdende Früchte, die vom Hagel beschädigt sind, werden entfernt und kompostiert: Also vor allem reifes oder fast reifes Steinobst, dazu Beeren und Fruchtgemüse. Beim Fruchtgemüse (z.B. Tomaten) kann es Sinn machen, kurz nach dem Hagelschlag für 2-3 Wochen laufend die neu entstehenden Blüten zu entfernen, so dass sich die Pflanze auf die vegetative Regeneration beschränken kann. Aus eigenem kurzfristigem Überlebensinteresse würde die Pflanze selber die Früchte bevorzugen, da die Samen ihren Fortbestand sichern. Wunden an harten und unreifen Früchten, z.B. an Äpfeln und Birnen, die erst im September reifen, können in der Regel problemlos verheilen. Zu stark beschädigte Früchte (die Wunde ist grösser als 20% der Fruchtoberfläche) werden ausgepflückt. – Häufig kann man gerade bei Kernobstbäumen beobachten, dass der Hagel die Pflanze dazu antreibt, schnell und verspätet nochmals zu blühen: Die bereits angelegten Blütenknospen, die eigentlich für das nächste Jahr bestimmt sind, werden aktiviert, die Hemmstoffe, die sie normalerweise ruhig halten, werden abgebaut und der Apfelbaum beginnt im Juli oder August wieder zu blühen. Diese vorzeitigen und unzeitigen Blüten sind zu entfernen, so dass die Pflanze ihre Energie nicht fehlinvestiert.
Abschreiben: Schreiben Sie in Ihrem Kopf tote oder halbtote Pflanzen sofort ab, erwarten Sie keine oder eine stark reduzierte Ernte – und Sie werden am Ende jeden doch noch wachsenden Salat, jede späte Tomate im September und jeden Apfel im Oktober umso mehr geniessen.
Winterschutz: Vor allem bei frostgefährdeten Pflanzen ist im nachfolgenden Winter der Winterschutz ähnlich zu handhaben wie bei einer frischgepflanzten Jungpflanze. Sie müssen davon ausgehen, dass die hagelschädigte Feige oder Rebe weniger Reservestoffe ansammeln kann und dadurch im Winter stärker gefährdet ist als in normalen Jahren. Dieselbe verstärkte Vorsicht gilt dann auch für die Zeit der Frühjahrsfröste im nachfolgenden Jahr.
Alles wird gut: Pflanzen können das. Mit Ihrer Hilfe sowieso.
Gärtnern Sie weiter!
Herzliche Grüsse
Markus Kobelt
Markus Kobelt ist Gründer und zusammen mit seiner Frau Magda Kobelt Besitzer von Lubera.
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