Nicht nur der Raiffeisenplatz soll umbenannt werden. Im neuen Hochhaus, das in der Kreuzbleiche entstehen wird, soll es ein Gedenkort für die Menschen, die da in Völkerschauen ausgestellt worden waren, geben. Das fordert Historiker Hans Fässler.
Was heute undenkbar ist, war vor 100 Jahren aus gesellschaftsmoralischer Sicht überhaupt nicht verwerflich: Das Zurschaustellen von Menschen in sogenannten Völkerschauen. Von den Veranstaltern als «authentisches Erlebnis» angepriesen, konnte man in eigens nachgebauten Dörfern bestaunen, wie die «Eingeborenen» in Afrika oder Nordamerika bei sich zu Hause lebten. Es war wie im Zoo, wo ja auch heute noch Habitate von Lebewesen nachgebaut werden, damit wir sehen, wie «die da» leben. Der Vergleich mit dem Zoo kommt nicht von ungefähr: Viele dieser Völkerschauen fanden tatsächlich in Zoos statt. Im Unterschied zum Zoo, handelte es sich aber bei den ausgestellten Menschen meist um Schauspieler und Freiwillige, die das für ein Entgelt machten.
Wohl weil es in St.Gallen keinen Zoo gab, bauten die Ausstellungsmacher solche Völkerschauen gerne in der für 800 Menschen konzipierten «Concerthalle» im ehemaligen Hotel St.Leonhard auf. Das Hotel gibt es nicht mehr: Nach einem Brand wurde es 1966 abgerissen und durch einen Neubau ersetzt. Das Wohnhaus an der Verzweigung Burg-/Bogenstrasse beherbergt heute im Erdgeschoss das Restaurant «Il Castello».
Zum Gedenken an die Ausgestellten
Historiker Hans Fässler, der sich auch für die Umbenennung des Raiffeisenplatzes starkmacht, fordert nun in einem Schreiben an den zuständigen Stadtrat und das Architektenteam, dass im neuen Gebäude in Zusammenarbeit mit Historikern ein Erinnerungsort an diese rassistischen Schauen entstehen soll. In diesem Lokal hätten von 1885 bis 1902 insgesamt sieben sogenannte «Völkerschauen» stattgefunden, an denen Menschen aus Kolonien des globalen Südens zur Unterhaltung des St.Galler Publikums ausgestellt worden seien, schreibt er und fährt fort: «Diese Völkerschauen waren in Europa, inklusive Schweiz und den USA , darüber sind sich die Historiker heute einig, ein wesentliches Element für die Herausbildung kolonialrassistischer Denkfiguren und für die Vorstellung von der Überlegenheit einer postulierten weissen Rasse.»
Fässler macht auch gleich konkrete Vorschläge: So sollen grosse Schriftzüge mit den Namen/Themen der sieben Völkerschauen an der Süd- und Ostfassade prangen: SIDI BEN CALIFAT, SCHULI, SINGHALESEN, MATABELE, FAKIRE, TOGOLESEN, SCHILLUK. Andernfalls könnte man einen Raum im Innern des Gebäudes als Gedenkort einrichten oder als Minimalvariante: eine Vitrine oder Gedenktafel anbringen.
Dass Völkerschauen aus heutiger Sicht problematisch sind, dürfte allen einleuchten. Ob Fässlers Forderungen aber realistisch sind, wird sich zeigen. Prognose: eher nicht.
Michel Bossart ist Redaktor bei «Die Ostschweiz». Nach dem Studium der Philosophie und Geschichte hat er für diverse Medien geschrieben. Er lebt in Benken (SG).
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