Die Tage von Bundesrat Alain Berset sind gezählt. Darauf deuten Aussagen von Ostschweizer Parlamentarierinnen und Parlamentariern. Klar, es gilt die Unschuldsvermutung. Dennoch: Der Schaden ist angerichtet und «reinwaschen» wird kaum möglich sein.
Bundesrat Alain Berset musste sich in den vergangenen Monaten gleich mit mehreren Affären herumschlagen. Steht sein Abgang kurz bevor? Werden ihn die jüngsten Entwicklungen zum Rücktritt zwingen?
Die grosse Frage ist: Inwiefern wusste Berset vom Informationsaustausch zwischen seinem Kommunikationschef Peter Lauener und Ringier-CEO Marc Walder? Und falls ja: wie schwerwiegend wäre dieses Vergehen?
Mitte-Nationalrat Nicolo Paganini ist selbst Mitglied der Geschäftsprüfungskommission, die sich mit dem Vorfall beschäftigt und kann sie folglich nicht gross dazu äussern. Die Sachlage sei juristisch anspruchsvoll, nicht zuletzt, weil die fraglichen Mails, die den Austausch belegen sollen, offenbar in einem Strafverfahren als «Beifang» gefunden wurden. «Sollte sich das (der Austausch zwischen dem Departement von Berset und Ringier, Anm. d. Red.) so bewahrheiten, dann wäre das ein politisch äusserst schwerwiegender Sachverhalt. Eine Kollegialbehörde wie der Bundesrat kann nicht funktionieren, wenn vor den Sitzungen systematisch Informationen via Medien verbreitet werden und so Druck auf die Kolleginnen und Kollegen erzeugt wird. Der Tausch ‘Information gegen Berichterstattung’ ist aber natürlich in Bundesbern durchaus verbreitet», so Paganini.
Sollte Bundesrat Berset vom Austausch zwischen Launer und Walder gewusst haben oder diesen gar gefördert haben, so wäre das für SVP-Nationalrat David Zuberbühler «skandalös». «Denn dann hätte ein amtierender Bundesrat versucht, Einfluss auf die Bevölkerung mit Hilfe von gezielten Indiskretionen an eine reichweitenstarke Zeitung zu nehmen. Das wäre ein eklatanter Missbrauch des Amts und auch eine Verletzung des Kollegialitätsprinzips», so Zuberbühler.
Ihm falle zudem auf, wie die SP ihren Bundesrat in Schutz nehme und sich hinter den laufenden Untersuchungen verstecke. Der SVP-Politiker räumt ein: «Stellen wir uns vor, es hätte sich um Ueli Maurers Pressesprecher gehandelt, der via Ringier versucht hat, einen Verlag zu beeinflussen: Die SP wäre vor Empörung ausser sich. Dazu kommt, dass der neuste Fall nicht der erste Ausrutscher von Berset war. Man muss nicht immer sofort Rücktrittsforderungen stellen, aber man sollte sich fragen: Kann Alain Berset sein Amt noch unbelastet zum Wohl des Schweizer Volks ausführen angesichts all dessen, was in den letzten Monaten über ihn bekannt wurde?»
Auch der Thurgauer SVP-Nationalrat Manuel Strupler fordert die SP dazu auf, wieder für Ordnung im Stall zu sorgen: «Es ist ja fast peinlich, wie sich ihre Exponenten vor klaren Aussagen drücken. Das werden die Wähler und Wählerinnen hoffentlich wahrnehmen und ihre Schlüsse daraus ziehen.» Es brauche eine rasche und schonungslose Aufklärung. Strupler erwartet von der GPK, dass die Anschuldigungen seriös geprüft werden. «Falls sie sich erhärten, wird die Luft für Alain Berset dünn und er sollte – auch aus Respekt vor der Institution – zurücktreten oder zumindest nicht mehr kandidieren.»
FDP-Nationalrätin und Ständeratskandidatin Susanne Vincenz-Stauffacher findet ebenfalls klare Worte: «Sollte eine systematische Amtsgeheimnisverletzung stattgefunden haben, ist dies bereits an sich sehr besorgniserregend. Die systematische Weiterleitung von vertraulichen Informationen schadet dem Ansehen der Regierung und verletzt das Kollegialitätsprinzip in krasser Weise. Wenn Bundesrat Berset vom Tun seines Kommunikationschefs wusste, er es tolerierte oder die Kontaktnahme sogar auf sein Geheiss hin erfolgte, so wäre dies sehr schwerwiegend.»
Für Zurückhaltung plädiert Mitte-Nationalrat Christian Lohr: «Mir geht es derzeit etwas zu viel um die Interessen einzelner Parteien und Medienhäuser. Alle versuchen, für sich Kapital zu schlagen. Das geht so nicht. Das Thema Indiskretionen ist zu ernst, als dass man sich hier auf Ränkespiele einlassen darf. Derzeit ist halt schon noch sehr viel offen und nicht abschliessend zu bewerten.» Aber auch er sagt klar: «Sollte die Handlung willentlich und wissentlich erfolgt sein, ist das sehr schlecht. Es schadet dem Vertrauen der Schweizer Bevölkerung in die nationale Politik. Die Sache muss geklärt, d.h. geprüft werden.»
Das «so oder so» führt SVP-Nationalrat Roland Rino Büchel ins Feld: «Entweder hat Alain Berset vom offensichtlich inakzeptablen Tun seines wichtigsten Mannes gewusst; dann ist er in ernsthaften juristischen Schwierigkeiten. Oder er hat nichts davon mitbekommen; dann ist er als Führungsperson nicht geeignet, Bundesrat und Bundespräsident zu sein.» Denn für den Rheintaler steht fest: «Es wird hier so getan, als ob man in der Politik nicht führen müsse wie im Privaten. Dem ist nicht so. Es ist mindestens so wichtig, die öffentliche Verwaltung im Griff zu haben, wie diejenige in einem privaten Unternehmen.»
Von wahltaktischen Überlegungen, Berset nun so lange im Amt zu behalten, um die SP bei den Gesamterneuerungswahlen im Herbst zu schwächen, hält Büchel nichts: «Es ist jetzt ganz sicher nicht der Moment für irgendwelche Spielchen. Es geht um das Funktionieren unseres Staates und dessen führender Institution, dem Bundesrat.»
Und dennoch: «Bleibt Alain Berset bis zu den Wahlen im Amt, wird dies die SP weiter schwächen. Aus diesem Grund halten sich derzeit auch viele Politiker mit Kritik zurück. Die Partei, die am meisten davon profitieren wird, sind die Grünen. Vom Abstimmungsverhalten her passt kein Blatt Papier zwischen rot und grün. Ich rechne mit einer erheblichen Verschiebung von rot zu grün im nächsten Herbst», sagt etwas FDP-Nationalrat Marcel Dobler.
Seine Beurteilung des Falls fällt dahingehend aus, dass die Unkenntnis des Austausches zwischen dem BAG und Ringier «sehr sehr unwahrscheinlich» ist. Die Frage sei nun aber, was beweisbar ist. Dazu Dobler: «Während der Corona-Krise habe ich immer wieder Massnahmen und Entscheide kritisiert. Zum Beispiel, dass bis heute aus den Intensivstationen und damit die schweren Verläufe keine vernünftigen Zahlen vorliegen, um evidenzbasierte Entscheide zu treffen. Oder auch machte ich den Bund zwei Wochen vor der Eskalation der Ferienrückkehrer auf dieses Problem aufmerksam, bevor es die Medien aufnahmen. Gemacht wurde nichts.»
Laufend habe er in den sozialen Medien Einschätzungen abgegeben. «Da ich mit Ausnahme von ‘Nau’, ‘Nebelspalter’ und ‘20 Minuten’ als kritisches SGK-Mitglied nie kontaktiert wurde, liegt der Schluss für mich nahe, dass auch andere Medienhäuser involviert waren. Das ist aber meine persönliche Einschätzung und nicht belegt. Eine solch staatsnahe breite Medienberichterstattung ohne konstruktive Kritik, die man von unabhängigen Medien erwarten dürfte, ist aus meiner Sicht rückwirkend nicht zu erklären», so Dobler.
Einen nachhaltigen Schaden erkennt auch Mitte-Nationalrat Thomas Rechsteiner: «Rechtlich müssen das die zuständigen Institutionen und Behörden klären (GPDel, GPK und ggf. Staatsanwaltschaft). Für das Vertrauen in die Landesregierung und in Bundesrat Berset sind diese Vorkommnisse sehr negativ und können kaum mehr geheilt werden.»
Er verfüge derzeit über keine Detailkenntnisse um eine glasklare, nachvollziehbare und überprüfbare Sichtweise einnehmen zu können. «Die mir bisher aus den Medien bekannten Dinge, lassen mein Vertrauen in Bundesrat Berset auf einen Tiefpunkt fallen. Aus mehreren Gesprächen mit anderen nationalen Politikerinnen und Politikern muss ich entnehmen, dass ich damit nicht alleine bin», sagt Rechsteiner.
Zu diesem Kreis gehört SVP-Nationalrat Mike Egger: «Diese Sache hat sich mittlerweile zu einer staatspolitischen Affäre entwickelt und es geht um viel mehr als Parteipolitik. Wenn sich die Verdachtsmomente bestätigen, dann wäre es für die anderen Mitglieder des Bundesrats nicht mehr zumutbar, mit Berset zusammenzuarbeiten. Das Vertrauensverhältnis wäre vollkommen zerstört, und damit wäre auch das Funktionieren der Landesregierung beeinträchtigt. Nur schon deswegen wäre dann ein sofortiger Rücktritt notwendig.»
Ein rasches Handeln fordert Esther Friedli, SVP-Nationalrätin und ebenfalls Ständeratskandidatin. Die GPK sollte sich gemäss ihrer Ansicht schnellts möglich mit den Vorgängen befassen. Und auch der Bundesrat als Gremium tue gut daran, sich über die Kollegialität und die Arbeitsweise zu unterhalten. «Leider stelle ich im politischen Bern aber auch fest, dass Indiskretionen schon fast zum ‘Tagesgeschäft’ zählen. Auch aus parlamentarischen Kommissionen werden vertrauliche Informationen sofort den Medien weitergegeben. Das fördert das Finden und Ringen um Lösungen nicht», sagt Friedli. Dass es wohl eine Standleitung zwischen dem Departement von Bundespräsident Alain Berset und dem Blick während der Corona-Pandemie gab, ist für die Toggenburgerin offensichtlich. «Man musste ja jeweils am Dienstag den Blick konsultieren, um zu wissen, was im Bundesrat am Mittwoch entschieden wird. Dass es jetzt öffentlich wurde, ist richtig und wichtig. Es ist nun an den Strafverfolgungsbehörden und im politischen Bereich an der Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Parlamentes, sich der Sache anzunehmen und die Vorgänge lückenlos aufzudecken.»
Marcel Baumgartner (*1979) ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz».
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