Die Staatsanwaltschaft lässt durch ihr Sprachrohr «Sonntagszeitung» verlauten, es gebe «neue Beweismittel». Gegen den gefallenen Starbanker Pierin Vincenz und gegen seine Frau.
Man erinnert sich: Am 27. Februar 2017 wurden Pierin Vincenz und sein Kompagnon Beat Stocker in Untersuchungshaft genommen. Monate, nachdem eine Strafuntersuchung wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung eröffnet worden war. Da wohl weder Flucht- noch Wiederholungsgefahr angenommen werden konnte, ging es alleine um Verdunklungsgefahr.
Warum allerdings erst Ende Februar diese Gefahr plötzlich aus den Büschen sprang und wieso Vincenz und Stocker nicht schon längst Beweismittel vernichtet hätten, falls es solche gäbe, das weiss die Zürcher Staatsanwaltschaft allein.
Über hundert Tage verbrachten die beiden in U-Haft. «Was ich in den letzten Wochen erlebt habe, wünsche ich niemandem», gab Vincenz anschliessend zu Protokoll, und dass er sich gegen alle Vorwürfe zur Wehr setzen werde. Seither schweigt Vincenz beharrlich, wie sein Kompagnon Stocker, wie sein Anwalt Erni.
Ganz anders die Staatsanwaltschaft. Sie hat sich mit dieser 107-tägigen U-Haft unter Erfolgszwang gesetzt, der den Fall betreuende Staatsanwalt möchte endlich ein Erfolgserlebnis haben, nachdem er schon krachende Niederlagen in anderen, ähnlichen Verfahren erlitten hatte.
Also werden die Medien angefüttert, gelegentlich mit heissen Neuigkeiten versehen. Da kommt plötzlich eine Spesenabrechnung von Vincenz ans Licht, auf der nur das Wort «Spesen» und ein fünfstelliger Betrag stehen soll. Da werden diese und jene mögliche Straftaten vermutet. Da werden Inforationen vor allem an den Oberchefredaktor von Tamedia durchgestochen, die nur von den Verfahrensbeteiligten stammen können. Es versteht sich von selbst, dass sie weder von Vincenz noch seinem Anwalt gestreut werden.
Da passt ein Journalist von «20 Minuten» aus dem Hause Tamedia sogar Vincenz bei einem Termin bei der Staatsanwaltschaft ab. Und schliesslich wird immer wieder behauptet, dass die Untersuchung zügig voranschreite, emsig gearbeitet, die Anklage demnächst erhoben werde.
Nur das Datum der Anklageerhebung wechselt immer wieder. Noch vor der Sommerpause. Noch im Herbst 2018. Sicher vor Ende Jahr. Im Frühling 2019. Im Herbst 2019. Offensichtlich ist der Staatsanwaltschaft inzwischen die zunehmende Peinlichkeit dieser Ansagen bewusst geworden. Denn nun liess sie am Sonntag via ihr Hofberichterstattungsorgan verlauten, dass erst «in einem Jahr mit einer Anklage» zu rechnen sei.
Hoppla. Da drohen dann bereits die ersten Verjährungen möglicher Straftaten, die ja allesamt schon viele Jahre zurückliegen. Um davon abzulenken, dass möglicherweise erst zweieinhalb Jahre nach der U-Haft eine Anklage erfolgen könnte, behauptet die Staatsanwaltschaft mal wieder: «Die Beweislage ist gut», zurzeit liefen «die letzten Einvernahmen», es gebe gar «neuen Beweismittel», nicht nur gegen Vincenz, sondern auch «gegen seine Frau».
Genauer gesagt: Die Staatsanwaltschaft lässt behaupten. Allerdings findet man im ganzen Artikel der «SoZ» kein einziges neues Beweismittel, nur zum x-ten Mal aufgewärmte alte. Und ist es wirklich der Staatsanwaltschaft ernst, zurzeit und noch bis in den Januar hinein die «letzten» Einvernahmen zu führen? Die Ereignisse, die zum Beispiel Investnet betreffen, fanden anno domini 2011 statt.
Ob sich Vincenz oder andere der ungetreuen Geschäftsbesorgung schuldig gemacht haben, weiss man nicht. Dass für Vincenz, seine Frau und weitere in die Strafuntersuchung involvierte Personen die Unschuldsvermutung gelten sollte, weiss man. Dass deren Ruf unrettbar beschädigt wurde, ohne dass anderthalb Jahre später auch nur der Termin einer Anklageerhebung bekannt wäre, von einem Urteil ganz zu schweigen, ist ein Skandal. Dass immer wieder Informationen an die Presse durchgestochen werden, ebenfalls. Allerdings wird dieses Verbrechen garantiert nie bestraft werden.
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