Die Diskussion um die Nutzung der Windenergie in den Kantonen St.Gallen und beiden Appenzell kommt zurzeit richtig in Fahrt. Ein paar gegnerische Argumente gehören allerdings zurechtgerückt.
Text: Valentin Gerig*
Gegnerinnen und Gegner der Nutzung von Windkraft sprechen immer wieder von «satten Gewinnen» für Investoren. Warum erwähnen sie nicht die Risiken, die diese zu übernehmen bereit sind, um einen Beitrag zur Versorgungssicherheit, zur Energiewende und zur Erreichung der Klimaziele zu leisten?
Wer sind denn diese Investoren? Bei den meisten Windenergieprojekten handelt es sich um Elektrizitätswerke, die im Besitz von Kantonen und Gemeinden sind, also der Bevölkerung. Nicht jedoch in Oberegg/AI. Dort entsteht ein echtes Bürgerprojekt: Knapp 200 Personen unterstützten die bisherige Projektentwicklung direkt oder über die Genossenschaft Appenzeller Naturstrom mit mehr als 800'000 Franken. Das Projekt geniesst in der Region eine hohe Akzeptanz, wie eine kantonale Volksabstimmung 2021 deutlich gezeigt hat.
Staatliche Förderung der Windenergie
Windenergieanlagen werden gefördert, aber nicht mit Subventionen, die über Steuergelder aufgebracht werden. Die Förderung neuer Projekte besteht aus einem einmaligen Investitionszuschuss. Dieser wird von den Stromverbrauchern über die Stromrechnung finanziert.
Genauso werden Photovoltaikanlagen gefördert. Hierzulande rechnen sich diese ohne Fördergelder nicht. Wer die Investoren von Windenergieanlagen also der «Subventionshascherei» anklagt, stellt zugleich alle jene an den Pranger, die in bester Absicht eine Solaranlage auf ihrem Dach montieren.
Zuerst der Ausbau der Wasserkraft
Die Schweiz ist ein Wasserkraftland. Das Ausbaupotenzial der Wasserkraft reicht aber bei weitem nicht aus, um den steigenden Strombedarf zu decken und Kernkraftwerke zu ersetzen. Reicht die Wasserkraft nicht aus, muss man ergänzend auf andere Optionen greifen, sonst wird’s dunkel.
Eine weitere heimische Möglichkeit ist die Windenergie. Die dafür eingesetzten Technologien sind effizient, sicher, brauchen kaum Land, hinterlassen keine Sonderabfälle. Es gibt sogar Leute, die meinen, Windenergieanlagen passten gut in die hügelige Ostschweizer Landschaft und seien sichtbare Zeichen von Modernität und Nachhaltigkeit.
Natürlich wollen wir nicht 1000 Windkraftwerke. Solche Äusserungen von Gegnern, Vertretern der Strombranche oder übereifrigen Befürwortern der Windkraft sind nicht ernst zu nehmen. Wo was gebaut wird, entscheidet immer noch das Volk.
Lärm, Schattenwurf, Infraschall…
Lärm, Schattenwurf, Infraschall und Eiswurf sind oft gehörte Kritikpunkte im Zusammenhang mit Windkraftanlagen, sogenannten Windrädern. Sie sind ernst zu nehmen, und alle Massnahmen sind zu ergreifen, damit die Immissionsvorschriften eingehalten werden.
Ist dies der Fall, muss es dann aber auch gut sein. Es gibt keinen Platz für aussichtlose Einsprachen und Verzögerungstaktiken. Diese sind eine Gefahr für die Allgemeinheit. Ob die Gegner der Windkraft gute Demokraten sind, wird die nahe Zukunft zeigen.
Windenergieanlagen müssen den Lärmvorschriften genügen. Ein Abstand von circa 300 Metern zu bewohnten Gebäuden reicht dazu in der Regel aus. Dies wird im Rahmen der Projektentwicklung mit speziellen Schallgutachten untersucht. Werden die strengeren Grenzwerte in der Nacht nicht eingehalten, müssen die Anlagen reduziert betrieben oder ausgeschaltet werden. Dafür sind moderne Anlagen ausgerüstet.
Schatten und Reflexionen
Ja, das Rotieren der Windräder kann einen lästigen Schatten oder Reflexionen verursachen. In der Schweiz gibt es dazu keine Vorschriften, deshalb werden oft jene von Deutschland angewendet: An einem Immissionspunkt (beispielsweise Gartenterrasse oder Wohnzimmerfenster) ist der Schattenwurf auf maximal acht Stunden pro Jahr und maximal 30 Minuten pro Tag zu begrenzen.
Die Windenergieanlagen sind so zu programmieren, dass die Grenzwerte bei allen relevanten Gebäuden eingehalten werden. Sonst ist abzuschalten. Solche Abschaltungen werden als «Produktionsverluste» in der Wirtschaftlichkeitsrechnung von Beginn an berücksichtigt und liegen bei circa einem Prozent der möglichen Stromproduktion.
Auch die Gefahr des Eiswurfs ist ein oft gehörter Kritikpunkt. Bildet sich auf einem Rotorblatt Eis, und beginnt es zu drehen, könn(t)en die Eisklumpen mehrere Hundert Meter weit geschleudert werden. Selbstverständlich muss für die wenigen Eistage zur Verhinderung von Personen- und Sachschäden eine Rotorblattheizung installiert werden. Unterstellt man den Projektanten und Betreibern wirklich, dass sie den Verlust von Menschenleben in Kauf nehmen? Wegen einem Enteisungssystem zum Preis von etwa 60'000 Franken pro Anlage?
Emotional und mit grosser Verbissenheit
Um das Thema Infraschall wird ebenso emotional und mit grosser Verbissenheit gestritten: Infraschall ist Schall, der so tief ist, dass er unterhalb der menschlichen Hörschwelle liegt. Er tritt auf bei Gewittern und Wind oder wird beispielsweise durch Züge, Autos, Heizungen, Kühlschränke und so weiter verursacht. Oder sogar vom Schnarchen des Bettnachbarn und ja, auch von Windenergieanlagen.
Wissenschaft, Behörden und Gerichte sind sich aber einig: Der von Windenergieanlagen verbreitete Infraschall hat keine schädlichen Auswirkungen auf Wohlbefinden und Gesundheit des Menschen. Andere glaubhafte Studienergebnisse konnten von den Windenergiegegnern bisher nicht vorgelegt werden.
Material und Entsorgung
Zum Material: Die Rotorblätter von Windenergieanlagen bestehen aus glasfaserverstärkten Kunststoffen, kohlefaserverstärkten Materialien und Stützelementen aus Balsaholz, die mit Epoxidharz verklebt werden. Nach dem Rückbau verschwinden sie heute oft in Deponien (vor allem in den USA) oder werden verbrannt. Mit wachsender Anzahl zurückgebauter Rotorblätter – allein in Europa sind es 2023 circa 14‘000 – wird es interessanter, chemische oder thermische Verfahren zu entwickeln, um die Verbundwerkstoffe wieder zu trennen.
Es entsteht ein Recyclingmarkt, weil auch dieser Abfall letztlich werthaltig ist. Bis unsere Ostschweizer Anlagen in 30 und mehr Jahren ausser Betrieb gehen, wird es definitiv bessere Lösungen geben als das Verbrennen.
Verlust an Kulturland und Waldflächen
Das Fundament einer Windenergieanlage misst circa 22 Meter im Durchmesser und ist aus Beton. Die damit beanspruchte Fläche ist etwa 380 Quadratmeter gross. Selbst mit «Umschwung» ist der Landverbrauch einer Windenergieanlage vergleichbar mit dem eines Einfamilienhauses.
Mit einer Anlage lassen sich circa acht bis neun Millionen Kilowattstunden erneuerbarer Strom ins Stromnetz einspeisen. Die Bilanz: Die Fläche eines Einfamilienhauses für die Versorgung von 2’900 vierköpfigen Familien mit erneuerbarem Strom.
Natürlich müssen die Fundamente nach Betriebsende zurückgebaut werden. Welcher Landeigentümer würde einem Investor sein Land im Wissen darum überlassen, dass er dieses nach Ablauf des Baurechts mit einem riesigen Betonklotz zurücknehmen muss? Die Betreiber werden häufig verpflichtet, das für den Rückbau notwendige Geld von Beginn an nachzuweisen oder während der Betriebsphase zurückzustellen.
Argumente für Windenergie im Wald
Windenergieanlagen im Wald? Ja, gerne! Zwischen 1977 und 2020 hat sich der Wald in der Schweiz im Durchschnitt um 3‘400 Hektaren pro Jahr ausgedehnt (zum Vergleich: Der Zugersee misst 3‘841 Hektaren). Wird eine Windenergieanlage im Wald gebaut, sind «definitiv» gerodete Waldflächen an einem anderen Ort 1:1 aufzuforsten.
Rodungen haben durchaus den Vorteil, dass mit der Aufforstung eine höhere Biodiversität und geeignete Habitate für Fledermäuse, Vögel und Wildtiere geschaffen und Bäume gepflanzt werden können, die den zunehmend trockenen Sommern besser zu trotzen vermögen. Zudem stehen nach dem Bau der Windenergieanlagen Walderschliessungstrassen zur Verfügung, die eine effizientere Waldnutzung ermöglichen als vorher.
Werden die Anlagen zurückgebaut und die beanspruchte Fläche wieder aufgeforstet, wird – zusammen mit dem Realersatz beim Bau der Anlage – der Waldbestand letztlich sogar vergrössert. All das ist lediglich eine Frage des betrachteten Zeitraums. Betreiber von Windenergieanlagen «leihen» sich die beanspruchten Flächen nur temporär aus. Sie sind keine Diebe an der Natur.
Vieles spricht für eine Nutzung der Windenergie
Im Ergebnis spricht viel für die Nutzung der Windenergie an passenden Standorten, auch in den Kantonen St.Gallen und beiden Appenzell. Passend heisst in diesem Fall: Es weht ausreichend Wind für ein wirtschaftliches Projekt, die massgebenden Immissionsvorschriften werden eingehalten, und das Projekt wird von der Mehrheit der Bevölkerung getragen.
Es ist Aufgabe der Behörden, günstige Voraussetzungen für solche Projekte zu schaffen und Aufgabe der Projektanten, alle Vorgaben einzuhalten und auch die Bevölkerung an der Wertschöpfung zu beteiligen. Das Projekt in Oberegg/AI scheint mir ein Musterbeispiel dafür zu sein. Wenn es solche auch anderswo in der Ostschweiz gibt, freue ich mich.
* Der Autor (im Bild) ist Verwaltungsrat der Appenzeller Wind AG in Zuzwil und Experte im Bau von Windenergieanlagen.
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