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Organisierte Kriminalität in St. Gallen?

Wie sinnvoll ist es, wenn Staatsanwälte gegen sich selbst ermitteln?

Was macht man, wenn die Vorgänge in der Justiz unhaltbar sind und Milliardäre konsequent vor einer Strafverfolgung geschützt werden?

Josip Sunic am 07. April 2023

Gemäss Auskunft der Bundesanwaltschaft erstattet man eine Anzeige wegen organisierter Kriminalität und Korruption, wenn ein Verdacht darauf besteht. Nach einer ausführlichen Schilderung des Sachverhalts wurde mir dazu geraten, eine solche Anzeige zu erstatten.

Was ist zwischenzeitlich passiert?

Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen (deren ersten und leitenden Staatsanwalt ich wegen Begünstigung und Amtsmissbrauchs angezeigt habe) hat die entsprechende Strafuntersuchung gegen St. Galler Amtsträger von der Staatsanwaltschaft Zürich an sich gerissen. Konkret sollen die angezeigten Personen seit Jahren Strafuntersuchungen gegen Remo Bienz und Markus Schultz verhindern und verzögern, so mein Vorwurf. Aus juristischer Sich ist die ganze Geschichte höchst komplex, da sie absichtlich verkompliziert wird. Die einfachen Fakten aber sorgen mindestens für Stirnrunzeln:

Die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte führen das Strafverfahren gegen sich selbst nun selbst. Offiziell macht dies eine Staatsanwältin, die ihren angezeigten Vorgesetzten unterstellt ist und deren strafbares Verhalten untersuchen soll. Die Einvernahme machen die Beschuldigten dann wohl beim morgendlichen Toilettengang im Monolog und teilen ihr die Resultate mit? Kann das wirklich noch jemand ernst nehmen? Anscheinend nicht einmal die Staatsanwältin selbst: Diese hat mir das Telefon aufgelegt, nachdem ich sie gefragt habe, ob sie nicht der Ansicht ist, dass sie befangen sei und von Amtes wegen in den Ausstand treten müsste.

Dieselbe Staatsanwältin hat verfügt, dass sie auch die Strafuntersuchung gegen die angezeigten Richterinnen und Richter führt. Allerdings bedarf eine solche Untersuchung der Ermächtigung durch die Rechtspflegekommission des Kantonsrates St. Gallen. Diese Ermächtigung zur Strafuntersuchung, oder deren Ablehnung muss, wie könnte es anders sein, durch die Staatsanwaltschaft St. Gallen beantragt werden.

Skandalschmiede St. Gallen

Die Rechtspflegekommission hat nun auf Antrag der Staatsanwaltschaft St. Gallen entschieden und eine Ermächtigung zur Strafuntersuchung antragsgemäss abgelehnt. Die Rechtspflegekommission hat die beschuldigten Richterinnen und Richter faktisch freigesprochen, indem nun auch in diesem Fall eine Strafuntersuchung verunmöglicht wird.

Ein ausgiebiges Telefonat mit Martin Stöckling, dem Präsidenten der Rechtspflegekommission des Kantonsrats, hat – zumindest mir – gezeigt, dass einmal mehr vollkommen willkürlich vorgegangen wurde. Um diesen Entscheid rechtfertigen zu können, musste er aktenwidrige Fakten erfinden. Obwohl eigentlich Strafuntersuchungsbehörden für die Strafuntersuchung und Strafgerichte für den Entscheid über Schuld oder Unschuld verantwortlich sind, hat die Rechtspflegekommission gleich beide Kompetenzen widerrechtlich an sich gerissen und entschieden, dass kein strafbares Verhalten der Richterinnen und Richter vorliegt.

Wenn es um viel Geld geht, scheinen Gesetze und Rechtsprechung in St. Gallen ohnehin nichts wert zu sein: Martin Stöckling ist aktuell schon wegen einer anderen Geschichte in den Schlagzeilen: Er soll als Stadtpräsident von Rapperswil-Jona ein Grundstück hinter dem Rücken der Bevölkerung an chinesische Immobilien-Investoren verkauft haben. Es ist kein Wunder, dass die St. Galler Justizbehörden sich alles erlauben, wenn solche Personen damit betraut werden, dafür zu sorgen, dass sich Behördenmitglieder an Gesetze und Vorschriften halten.

Mafiöse Zustände?

Ein Gerichtspräsident, der in Eigenregie widerrechtlich das Richtergremium zusammensetzt und dabei ignoriert, dass die von ihm eingesetzten Richter gar nicht Mitglied des entsprechenden Gerichts sind und andere Richter entscheiden müssten? Wenn man den Präsidenten der Rechtspflegekommission, Martin Stöckling fragt, ist dies kein Amtsmissbrauch. Dass einer der widerrechtlich eingesetzten Richter mit der Frau von Markus Schultz zusammenarbeitet (wegen dessen Begünstigung ich Strafanzeige gegen die Richter erstattet habe), findet er nicht problematisch. So unproblematisch sogar, dass man sich gar nicht damit befasst hat.

Richterinnen und Richter, die entscheiden, dass ihr Richterkollege Markus Schultz Zeugen kontaktieren und unter Druck setzen und auch noch eine diesbezügliche Strafuntersuchung verhindern darf? Das Bundesgericht hat ein solches Verhalten von Rechtsanwälten, geschweige denn eines Richters, der auch noch den mutmasslichen Straftäter Remo Bienz vor der eigenen Behörde verteidigt, als inakzeptabel qualifiziert. Die Rechtspflegekommission ist der Ansicht, dass die Richter auch hier nicht offensichtlich falsch entschieden haben. Fehler können ja mal passieren.

Das sind nur zwei von dutzenden konkreten Hinweisen auf strafbares Verhalten durch die angezeigten Richterinnen und Richter, die von der Rechtspflegekommission vollständig übergangen wurden. Bereits ein einzelner der mit Akten untermauerten Vorwürfe würde ausreichen, um mindestens eine Strafuntersuchung zu rechtfertigen. Die Rechtspflegekommission des Kantonsrates St. Gallen verhindert eine Strafuntersuchung. Ob es wohl daran liegt, dass zwischen der Remo Bienz gehörenden Fortimo Invest AG und dem Kanton St. Gallen Geschäfte in Millionenhöhe abgewickelt und provisioniert werden?

Den Entscheid, dass keine Strafuntersuchung gegen die Richterinnen und Richter erfolgen darf, kann man nicht vor das Bundesgericht ziehen. Dafür gibt es keine Rechtsgrundlage. In der Schweiz ist dies im Kanton St. Gallen einzigartig, weil der Kantonsrat die Rechtsgrundlage für diese Rechtsfreiheit geschaffen hat. Um zu seinem Recht zu kommen, muss man hier anscheinend entweder selbst Mitglied der Justiz sein und zu seinen eigenen Gunsten entscheiden oder Selbstjustiz ausüben. Beides ist unzulässig. Ersteres wird aber rege praktiziert.

Eskalation?

Die Richterinnen und Richter, die faktisch freigesprochen wurden, da erneut eine Strafuntersuchung im Keim erstickt wurde, werden nun darüber entscheiden müssen, ob eine Ermächtigung zur Strafuntersuchung gegen die angezeigten Staatsanwältinnen und Staatsanwälte erteilt wird. Die Staatsanwaltschaft St. Gallen agiert in diesem Verfahren gleichzeitig als Strafuntersuchungsbehörde und Verteidiger der beschuldigten Personen.

Die einzige Möglichkeit, um die Richterinnen und Richter zur Verantwortung zu ziehen und um zu verhindern, dass auch die Strafuntersuchung gegen die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte verunmöglicht wird, ist eine Strafanzeige wegen organisierter Kriminalität und Korruption. Diese erfolgt auch gegen die Mitglieder der Rechtspflegekommission des Kantonsrates. Ob Martin Stöckling als Präsident der Rechtspflegekommission und die weiteren Mitglieder wohl zustimmen werden, dass eine Strafuntersuchung gegen sie selbst geführt wird? Ich wage es zu bezweifeln. Es könnten weitere Skandale zum Vorschein kommen.

Eine Einzelperson hat eigentlich keine Chance gegen den gesamten Justizapparat eines Kantons und einen Milliardär, der von einem Mitglied eben dieses Justizapparats verteidigt wird. Gleichzeitig ist Aufgeben aber keine Option, da ich gezwungen bin, einen Verteidigungskrieg zu führen. Verrückte Welt – oder besser gesagt – verrücktes St. Gallen.

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Autor/in
Josip Sunic

Josip Sunic (*1990) ist Gründer des Schweizer PC-Herstellers Prime Computer AG sowie des Startups AppArranger AG, einer Buchungsplattform für Dienstleistungen. Daneben ist er Mitglied des Expertenkomitees von Startfeld, dem Ostschweizer Förderverein für Startups.

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