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Eine Serie von «Die Ostschweiz für den Sonntag»

Das Inferno am See – Teil 5

In den Wochen und Monaten nach dem Grossbrand auf dem Raduner-Areal in Horn führte die Kantonspolizei Thurgau zahlreiche Befragungen mit Areal-Mietern durch. Die Protokolle zeigen: Im Lauf der Zeit kamen immer mehr zum Schluss, dass nur ein Mann für die Brandstiftung in Frage kommt.

Stefan Millius am 22. März 2020

Teil 1 dieser Serie finden Sie hier.

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Teil 5: Wie einer nach dem andern kippte

Ernst M. hat diesen Brand nicht gelegt: Diese Haltung legten die meisten an den Tag, die nach der Brandstiftung befragt wurde. Es waren Leute, die ebenfalls auf dem Areal tätig waren, also Untermieter von Ernst M. Zum Teil äusserten sie sogar anderweitigen Verdacht. Der «Papi des Areals» aber, der konnte es aus ihrer Sicht nicht gewesen sein.

Doch je mehr Zeit verstrich, desto mehr wandelte sich das. Einer nach dem anderen kippte in seiner Meinung. Vielen erschien es plötzlich plausibel, dass es doch Ernst M. gewesen sein könnte.

So erschien beispielsweise Max N. am 3. August 2015 als Auskunftsperson auf dem Kantonspolizeiposten Arbon. Er war der Betreiber des «G’Wunderland», des grössten Flächennutzers im Raduner-Areal. Und zuletzt war die Stimmung zwischen ihm und Ernst M. nicht besonders gut. Erstens schuldete N. seinem Vermieter noch neun Monatszinse. Und zum zweiten waren die Lager und Vorplätze des «G’Wunderland» stets überfüllt, es herrschte eine Unordnung.

Am 19. Juli 2015 war Max N. laut eigenen Angaben letztmals vor dem Brand auf dem Areal in Horn, um etwas Ordnung zu schaffen, bevor er mit seiner Familie in die Ferien fahren wollte. Vom Brand selber habe er von der Polizei erfahren. Am bewussten Morgen war N. um 3 Uhr morgens aufgestanden, um mit seiner Freundin und deren Sohn in eine Bäckerei zu fahren, wo der Sohn seine Lehrstelle antrat. Ein solides Alibi.

Wer aber könnte den Brand gelegt haben? Max N. äusserte eine Art vage Ahnung. Die Besitzerin der Halle, eine Tiefbau- und Sanierungsfirma, habe seines Wissens grosses Interesse daran, dass das Areal geräumt wird. Auf die Frage, ob sonst jemand ein Motiv gehabt haben könnte, sagt N.: «Nein, meiner Meinung nach nicht.»

Am 31. August 2015 erfolgte eine weitere Befragung von Max N. Und in diesen drei Wochen scheint sich einiges getan zu haben. N. macht dieses Mal Aussagen, die den Hauptverdächtigen Ernst M. belasten.

Die Polizei geht heute davon aus, dass die ausgesprochene Kündigung der Mietverhältnisse das Tatmotiv war. M. war überfordert, weil er in kurzer Zeit alles hätte räumen und seinen Untermietern ebenfalls die Kündigung aussprechen hätte müssen. Aber M. sagte stets, er habe zum Brandzeitpunkt geglaubt, es bleibe mehr Zeit. Auch seinen Mietern sagte er nicht, wie schnell es hätte gehen müssen mit der Räumung.

Bei diesem Gespräch auf dem Polizeiposten erfährt Max N. die Wahrheit: Er hätte sein Lager bereits bis Ende September 2015 räumen müssen. N. wird hässig, wie dem Vernehmungsprotokoll zu entnehmen ist. Er habe eine Kündigungsfrist von sechs Monaten, er werde damit an die Medien gehen, es sei «eine Schweinerei», dass er davon bei der Polizei erfahre.

Nun klingt es anders. Hatte N. bei der ersten Aussage Ernst M. nicht auf der Liste der Verdächtigen, berichtet er nun gegenüber der Polizei von einer zunehmenden Nervosität von Ernst M. vor und nach dem Brand, von rätselhaften Bemerkungen, von einer gesteigerten Hektik. Sein «G’Wunderland», sagt Max N. zu den Polizisten, sei Ernst M. wohl zunehmend ein Dorn im Auge gewesen, weil eine Räumung mindestens ein halbes Jahr gedauert hätte. Die Ware von Ernst M. sei versichert gewesen, so N., für ihn sei der Brand letztlich eine Entlastung. «Jetzt ist es für mich klar, es musste brennen!», sagt Max N.

Im Dezember 2015 bei einer weiteren Befragung doppelt Max N. nach. Er berichtet von nervösen Räumungsaktionen von Ernst M., er habe sich ungewöhnlich verhalten. Ihm sei das seltsam vorgekommen, da er immer davon ausgegangen sei, dass sechs Monate Zeit bleiben, um zu räumen. Rückblickend sei M. «in einer ganz schlechten Verfassung» gewesen. In der Woche vor dem Brand sei «ein Psychoterror» entstanden.

Der Mikrokosmos im Raduner-Areal wurde zum nackten Chaos. Unzählige Aussagen und Hinweise machen klar: Ernst M. muss gewusst haben, dass alle Flächen Ende September 2015 geräumt sein mussten. Aber seine Untermieter wussten davon nichts. Sie gingen davon aus, dass ihr Vertrag – mündlich abgeschlossen - über ein halbes Jahr läuft. Sie blieben also entspannt, während Ernst M. zunehmend hektischer wurde.

An diesem Punkt konfrontieren die Ermittler Max N. mit ihrem Tatverdacht gegen Ernst M. Ob er es getan habe, wisse er nicht, sagt N., aber er müsse zumindest etwas davon gewusst haben. Die ganze Situation mit der Kündigung auf zwei Monate sei für M. «ein Todesurteil» gewesen. Und dass er am Morgen des Brandes so früh dort gewesen sei, sei ungewöhnlich. Mit einem Mal sei M. auch plötzlich kaum mehr erreichbar gewesen, anders als früher. In einer späteren Befragung sagt Ernst M. auch, der Ort des Brandausbruchs sei «auffällig», denn es gebe auf dem ganzen Areal keinen besseren Punkt, um ein Feuer zu legen.

Auch andere Untermieter kommen in den Befragungen zum Schluss, dass Ernst M. am ehesten ein Motiv hatte. Aber die meisten sagen auch, dass er eigentlich nicht der Typ dafür sei, dass er sichtlich unter Druck stand. Dass es vielleicht jemanden «über» ihm gegeben habe, der diesen Druck auslöste und M. so gewissermassen zur Brandstiftung veranlasste.

Parallel dazu beschwor Ernst M. in seinen Befragungen weiterhin, dass er mit dem Brand nichts zu tun hatte.

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Stefan Millius

Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.

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