Bei der Diskussion um den Besuch von Roger Köppel bei einer Demonstration in Chemnitz bleibt nur noch eine Frage: Wie absurd kann’s noch werden?
Ich möchte nicht ausschliessen, dass dieser Text von Neonazis gelesen wird. Ich kann nicht verhindern, dass ich fotografiert werde, während ich zufällig an der Seite eines Rassisten stehe. Es ist denkbar, dass ich als Reporter an einer Demonstration der PKK teilnehme. Es könnte sein, dass am Nebentisch im Restaurant eine Gesellschaft von Chauvinisten Platz genommen hat, während ich mein Mahl einnehme.
Es ist sehr gut möglich, dass ich Wörter verwende, die im öffentlichen Diskurs vom inquisitorisch rechthaberischen Justemilieu als böse stigmatisiert sind. Es ist sogar denkbar, dass ich beim Griff ins Bücherregal rechts oben den rechten Arm erhebe. Ist das eine Nonsens-Aufzählung, eine späte Huldigung an Dada? Könnte man meinen, wenn einen die Realität nicht eines Schlechteren belehren würde.
Dem Verleger und Chefredaktor der «Weltwoche» wird zum Vorwurf gemacht, dass er während einer Demonstration in Chemnitz laut dem Blog «recherche nord» neben dem ehemaligen Betreiber eines neonazistischen Plattenlabels gelaufen sei. Dabei hat Köppel nur das getan, wovon die meisten Journalisten im heutigen Sparjournalismus nur träumen: Er ist hingegangen, hat hingeschaut und sich Notizen gemacht. Aber der Co-Sekretär der SP Schweiz, Michael Sorg, entblödet sich nicht, daraus ein «Seite an Seite mit Neonazis marschieren» zu machen.
Nun, irren ist menschlich. Was meint nun der Politfunktionär, nachdem man ihn darauf aufmerksam machte, dass Köppel in seiner Funktion als Journalist anwesend war? «Herr Köppel schlägt sich zu hundert Prozent auf die Seite der Pegida und der Organisatoren, übernimmt deren Parolen und macht sich mit deren Sache gemein.» Im Umzug mitzulaufen, habe nichts mit Journalismus zu tun, Köppel sei als Politiker dort gewesen, weiss Sorg.
Welch ein Pech für Köppel, dass man ihn nicht fotografierte, als er über einen linken Umzug rapportierte. Wenn man der absurden Logik von Sorg folgen will, müsste man dann befürchten, dass sich der SVP-Nationalrat zu hundert Prozent auf die Seite der Antifaschisten und netten Linken geschlagen habe, was nun in seinen Parteikreisen gar nicht gerne gesehen würde.
Aber Spass beiseite, das Thema ist ernst. Wer meint, auf dieser Gaga-Ebene politische Auseinandersetzungen führen zu können, muss sich nicht wundern, wenn ihm die Wähler weglaufen und immer mehr Staatsbürger den Eindruck haben, dass ihre wirklichen Anliegen und Probleme von der Politik nicht ernstgenommen werden.
In Deutschland hat die AfD laut jüngsten Umfragen in der Wählergunst bereits die SPD überholt. Obwohl sie im Wesentlichen eine Protestpartei ist, die inhaltlich nicht viel anzubieten hat. Wenn in der Schweiz noch mehr Politiker dem schlechten Vorbild von Sorg folgen, ist Ähnliches zu befürchten.
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