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Fall Pierin Vincenz

Und einmal mehr: «Es gilt die Unschuldsvermutung»

Immer wieder sonntags ist Heuchelei bei Tamedia angesagt. Wenn mal wieder über den Fall Vincenz berichtet wird. Als Lautsprecher der Staatsanwaltschaft.

«Die Ostschweiz» Archiv am 09. Dezember 2019

Der Oberchefredaktor des Hauses Tamedia hat mal wieder Aufregendes zu vermelden: «Staatsanwaltschaft erzielt Durchbruch im Fall Vincenz», trompetet er in der «SonntagsZeitung». Das kann er, weil ihm natürlich keiner widersprechen darf, wenn er mal wieder einen ihm von der Staatsanwaltschaft hingeworfenen Knochen verbellt.

«Aus verlässlichen Quellen» sei zu hören, behauptet Arthur Rutishauser, dass es der Staatsanwaltschaft gelungen sei, «Akten von Beat Stocker freizubekommen». Zieht sich nun endlich die Schlinge um den Hals von Pierin Vincenz zusammen, hat ihn der glücklose Staatsanwalt endlich zur Strecke gebracht?

So suggeriert es Rutishauser, der schon lange als verkappter Pressesprecher der Staatsanwaltschaft amtiert, in dieser Eigenschaft schon Spesenabrechnungen von Vincenz «enthüllte» und überhaupt immer wieder behauptete, dass der Fall nun aber endlich vor Gericht lande.

Die Wahrheit ist: Seit mehr als zwei Jahren wird ermittelt, Ende Februar 2018 wurden Pierin Vincenz und sein Kompagnon Bat Stocker verhaftet, für mehr als 100 Tage in Untersuchungshaft schmoren gelassen, Hausdurchsuchungen durchgeführt und massenhaft Unterlagen beschlagnahmt.

Dagegen wurde das jedem in ein Strafverfahren Involvierten Recht in Anspruch genommen, diese Akten versiegeln zu lassen. Also der Staatsanwaltschaft Begründungen abzufordern, wieso sie Einblick in private Aufzeichnungen nehmen wolle. Das wird auch im aktuellen Artikel als «erfolgreiche Blockierung der Ermittlungen» denunziert. Das ist so absurd, wie wenn man einem Angeschuldigten vorwerfen würde, dass er von seinem Recht Gebrauch macht, die Aussage zu verweigern.

Besonders vertieft wühlt sich der selbsternannte Scharfrichter Rutishauser nochmals durch den Fall Investnet. An dieser Firma beteiligte sich Raiffeisen, nachdem Stocker für die Bank die Verhandlungen geführt hatte und sich auch persönlich an dieser Firma beteiligte. Von dem durch den Kauf erzielten Gewinn zahlten die beiden Gründer von Investnet dann Stocker 5,8 Millionen Franken. Der gab davon 2,9 Millionen an Vincenz weiter, als Darlehen.

Dieses Darlehen, weiss die «SonntagsZeitung», «taxiert die Staatsanwaltschaft als Bestechung.» Gleichzeitig räumt das Blatt ein, dass tatsächlich ein entsprechender Darlehensvertrag aufgetaucht sei, «der auf den ersten Blick Vincenz’ Behauptung stützt.» Ob es Bestechung oder ein Darlehen war, das werde sich «vor Gericht zeigen», behauptet Rutishauser. Um mit dem Satz zu enden: «Es gilt die Unschuldsvermutung.»

Nein, die gilt nicht, sie gilt wenn schon auch für Rutishauser nicht. Der Inhalt dieser Akten ist haargenau drei Beteiligten bekannt: Vincenz, Stocker – und der Staatsanwaltschaft. Weder Stocker noch Vincenz haben das geringste Interesse daran, solche internen Unterlagen an die Presse durchzustechen. Also bleibt, wie schon in einigen Fällen zuvor, nur die Staatsanwaltschaft als Quelle.

Die hat nun keinesfalls einen «Durchbruch» erzielt. Sondern höchstens ein Scharmützel gewonnen. Und sieht sich weiterhin dem Vorwurf ausgesetzt, dass sie um der Publizität willen Monate nach Beginn der Untersuchungen zwei Verhaftungen vornahm, Vincenz und Stocker so lange wie möglich in U-Haft weichkochen wollte, aber mehr als zwei Jahre nach Beginn der Untersuchungen noch nicht mal in der Lage ist, einen realistischen Termin für eine allfällige Anklageerhebung zu nennen.

Und selbst wenn, selbst wenn diese Anklage zugelassen wird – der ermittelnde Staatsanwalt wurde schon in ähnlichen Fällen im Vorfeld oder vor Gericht abgebürstet –, dann gibt es eine Gerichtsverhandlung mit der Möglichkeit des Instanzenzugs bis zum Bundesgericht. Bis zu einem rechtsgültigen Urteil sollte tatsächlich die Unschuldsvermutung gelten. Müssten Vincenz und Stocker als so unschuldig angesehen werden wie die Leser dieses Artikels. Diese Unschuldsvermutung kann aber für den Schreibtischtäter Rutishauser nicht gelten. Er weiss, was er tut. Er weiss, dass er die von ihm heuchlerisch angeführte Unschuldsvermutung in seiner Kampagne gegen Vincenz und Raiffeisen seit langer Zeit mit Füssen tritt.

Wer solchen Hinrichtungsjournalismus betreibt, wer sich ungeniert von interessierten Kreisen anfüttern lässt, um solche zugeschobenen Informationen als Primeur, als Schlagzeile, als angeblichen «Durchbruch» zu verbraten, der muss sich nicht wundern, dass die Glaubwürdigkeit der Medien historische Tiefstände erreicht. Und immer mehr Leser sich zu Recht fragen, wieso sie dafür auch noch Geld ausgeben sollen.

Um allfälligen Unterstellungen, wie sie Rutishauser schon machte, gleich im Vorfeld zu begegnen: Nein, dieser Artikel wurde nicht von Vincenz oder Stocker angeregt. Ich kenne diese beiden Herren nicht. Er wurde auch nicht von Raiffeisen angeregt, wie man schon der säuerlichen Reaktion des VR-Präsidenten Guy Lachappelle auf meine Kritik an seiner bisherigen Amtsführung entnehmen konnte. Dieser Artikel entstand auch nicht «in Zusammenarbeit mit», wie immer mehr Artikel im Hause Tamedia verschämt gekennzeichnet werden. Wobei dort «Zusammenarbeit» heisst: Der Kunde zahlt, Tamedia schreibt schön. Auch da fragt sich der Leser, wieso er nochmals bezahlen soll.

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