Der Chefökonom der Raiffeisen schaut in die Zukunft. Also in seine Glaskugel.
Wie es sich Anfang Jahr gehört, geben Chefökonomen Prognosen ab. Dafür werden sie bezahlt, und zwar nicht schlecht. Also orakelt Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff, er sehe «im Zwölfmonatshorizont den Eurokurs bei 1.09 Franken und denjenigen des US-Dollars bei 0,96 Franken.»
Der Seher hält sich natürlich bedeckt, damit ihn niemand auf dieser Prognose behaften kann. Sie ist auch nicht gerade kühn, denn 2018 bewegte sich der Euro zum Franken in einer Bandbreite von knapp 1.20 Franken bis 1.12 Franken. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass der Euro im Verlauf der nächsten 12 Monate mal auf 1.09 fällt.
Dann klopft sich Neff auf die Schulter, schüttelt triumphierend seine Haarmähne und sagt: «Na, wie vorhergesehen.» Trifft seine Prognose aber nicht ein, und das kann ja passieren, dann wird er leicht betrübt den Kopf schütteln und sagen: «Nun, da ist natürlich etwas Unvorhergesehenes passiert, zu ihrem Zeitpunkt war meine Prognose völlig richtig.» Okay, das ist nur das, was ich in der Zukunft sehe, ich kann mich auch täuschen.
Auch sonst sieht Neff eher schwarz; die Schweizer Wirtschaft werde 2019 um nur 1,2 Prozent wachsen, die Exporte um schlappe 0,6 Prozent. Im Weiteren bleiben die Zinsen tief und die Immobilienpreise hoch, rundet Neff seinen Jahresvorausblick ab.
Wie ist er, wie ist denn seine Abteilung auf diese Zahlen gekommen? Hochwissenschaftlich natürlich. Mit Formeln, Algorithmen, Matrixen, die eigentlich nur Atomphysiker und prognostizierende Ökonome verstehen. Dummerweise haben sie eines gemeinsam: Sie analysieren die Vergangenheit und extrapolieren das auf die Zukunft.
Die ganze Zunft hat bis heute noch nicht gelernt, dass das nicht wirklich funktioniert. Man meinte, mit der Black-Scholes-Formel zur Bewertung von Finanzoptionen endlich in die Zukunft schauen zu können. Man meinte, damit endlich Risiko und Ertrag voneinander getrennt zu haben, man quatschte von Total Return Fonds und ähnlichem Unsinn, die jede mögliche Entwicklung, rauf, runter, seitwärts, antizipieren würden und daher immer Ertrag generierten. All das führte dann zur grössten Finanzkrise aller Zeiten. Aber da sind Analysten bis heute beratungsresistent.
Wie die Performance von aktiv gemanagten Fonds zeigt, ist das alles nachweisbar Hokuspokus. Denn könnten die Analysten tatsächlich besser in die Zukunft blicken als die Allgemeinheit, würden solche Anlagevehikel natürlich mehr Ertrag abliefern als sogenannte ETF, also Fonds, die einfach Indizes wie Börsenentwicklungen passiv abbilden.
Zum grossen Ungemach der ganzen Branche ist es aber regelmässig so, dass mit hochwissenschaftlicher Analystenpower betriebene Fonds im Schnitt schlechter abschneiden als ETF. Nicht zuletzt, weil die Analysten ihr Werk nicht für Gotteslohn, sondern für happige Gebühren verrichten.
Das Gemeinste, was man tun kann, ist einen Seher mit seinen vergangenen Prognosen zu konfrontieren. Deshalb lassen wir es bei der Bemerkung bewenden, dass Neff 2015 den Immobilienmarkt als «gesättigt» ansah, allerdings seien «die Hypothekenvergabekriterien zu eng». Diese Prognose machte er ganz unabhängig davon, dass Raiffeisen damals einen Anlauf nahm, eben diese Kriterien aufzuweichen, bis sie dann von der Finma zurückgepfiffen wurde.
Gelegentlich, so zuletzt 2017, wiederholt Neff auch, dass eigentlich ein fairer Kurs zum Euro bei 1.30 liegen müsste, oder sogar noch darüber. Unter fairem Kurs verstehen Ökonomen eine komplizierte Gegenüberstellung von Kaufkraft und anderen Faktoren. Sie sind dann regelmässig nicht amused, wenn ihnen die Realität mal wieder eins pfeift und einen anderen realen Kurs dem angeblich fairen entgegenstellt.
Apropos Euro, der ehemalige Chef-Ökonom der ZKB plädierte auch schon dafür, dass die Schweiz endlich den Euro übernehmen solle und diesen Sonderweg mit dem Franken verlassen. Und zwar pronto. Daraufhin kriegte er allerdings so viel Haue, dass er zurückkrebste, sei nur so eine Idee gewesen. Zu solcher Tollerei lässt sich Neff nicht hinreissen. Dafür sind seine Vorahnungen gespickt mit «gehe davon aus, rechne damit, melde Zweifel an, sehe das Risiko nicht», und so weiter und so fort. Damit ist Neff immer auf der sicheren Seite, sollte sich einer seiner Blicke in die Zukunft als Blindgänger erweisen.
Auf eine Frage weiss aber die ganze Analystenzunft keine sinnvolle Antwort: Was würde geschehen, wenn man auf solche Blicke in die wissenschaftlich verkleidete Glaskugel verzichten würde? Da wage ich doch eine Prognose: nichts. Ausser eine gewaltige Einsparung an Salären.
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