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Die Schweiz am Abgrund?

FDP-Nationalrätin Kris Vietze: «Unsere Fiskalquote ist unterdessen höher als jene von Deutschland»

Wir wollten von unseren Politikern wissen: Gerät die Schweiz immer mehr in Schieflage. Heute der Kommentar von FDP-Nationalrätin Kris Vietze. Sie sagt: «Die Schweiz ist nicht am Abgrund. Aber über dem Abgrund hängt ein Ast mit verlockenden Früchten. Wir tun gut daran, nicht danach zu greifen.»

Marcel Baumgartner am 06. April 2024

Ausgangslage:

Die Schweiz am Abgrund?

Der Mittelstand kommt kaum noch über die Runden. Die Finanzierung der 13. AHV-Rente dürfte zu einer weiteren Belastung führen. Weitere Vorlagen mit hohem Finanzbedarf werden kommen. Und hinzu kommen eine äusserst unsichere Weltlage und die Bedenken einer 10-Millionen-Schweiz. Muss man sich Sorgen machen? Wer führt uns mit welchen Massnahmen aus der Misere? – wenn es denn eine ist.

«Die Ostschweiz» hat hierzu bereits eine Analyse publiziert. Mehrere Politikerinnen und Politiker werden in einer Serie die Lage einschätzen.

Heute der Gastkommentar von FDP-Nationalrätin Kris Vietze (TG):

Die Schweiz ist nicht am Abgrund. Aber über dem Abgrund hängt ein Ast mit verlockenden Früchten. Wir tun gut daran, nicht danach zu greifen.

Was ist nur los in unserem Land? Die Fakten sagen: Wir leben im reichsten Land Europas, die Wohlfahrt hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Und doch macht sich ein Gefühl der Niedergeschlagenheit und der Bedrängnis breit. Immer mehr Menschen fühlen sich zu kurz gekommen.

Wir müssen das sehr ernst nehmen – aber nicht so, wie es Populisten von links und rechts machen: Wütend das eidgenössische Porzellan zu zerschlagen, Angst zu verbreiten und Sündenböcke zu suchen, bringt unser Land nicht weiter.

In dieser dunklen Stimmung heute haben sich neue Abgründe aufgetan. Über staatliche Umverteilung sollen Ausgaben finanziert werden, die man sich gar nicht leisten kann. Gar verlockende Früchte hängen an einem Ast über dem Abgrund. Statt sie pflücken zu wollen, tun wir gut daran, uns zu besinnen und vom Abgrund zurückzutreten.

Wie bei den beiden Krankenkasseninitiativen, die im Sommer zur Abstimmung kommen: Beide machen rein gar nichts gegen die hohen Kosten im Gesundheitswesen, den wahren Grund für die steigenden Prämien. Die Initiative der Mitte akzeptiert Preissteigerungen und koppelt sie an Ihre Lohnerhöhung. Sie sparen also keinen Rappen. Jene der SP will einfach jemand anderen zahlen lassen – wen, das weiss sie natürlich nicht. Das kennen wir schon von der 13. AHV. Den Initianten war es von Anfang an egal, dass sie mit ihrem verlockenden Angebot die sichere Finanzierung der Renten gefährden.

Wettbewerb und weniger Staat sind es, die Leistungen besser und günstiger machen. Das gilt übrigens ganz besonders für das Gesundheitswesen. Stellen Sie sich vor, es gäbe ein zusätzliches freiwilliges Versicherungsmodell mit mehr Wahlfreiheiten, das den Fokus auf eine optimale Versorgung und Kosteneffizienz legt. In dem Moment, in dem Sie endlich die Wahl haben, beginnen die Kosten im Gesundheitswesen zu sinken, weil sich die Spreu vom Weizen trennt. Und damit sinkt ebenso Ihre Prämie.

Auch der Ruf nach dem Staat ist laut geworden. Aber der wird es garantiert nicht richten. Denn könnte er es, wären wir nicht da, wo wir heute sind. Dieser Staat zieht laufend mehr Steuern ein – übrigens ist unsere Fiskalquote unterdessen höher als jene von Deutschland –, aber er hat immer noch nicht genug Geld in den Kassen, beispielsweise für die Armee – oder die 13. AHV.

Viel besser wäre es, wenn der Staat sparen und sich auf jene Leistungen konzentrieren würde, die den Menschen wirklich etwas bringen: erstklassige Bildung, starke Wirtschaft, sichere Altersvorsorge, Sicherheit und funktionierende Institutionen. Im Gegenzug könnten die Menschen selber über die Früchte ihrer Arbeit verfügen – und hätten mehr im Portemonnaie.

Wir sollten wieder mutig zusammenstehen – wie damals, 1848, als wir uns inmitten eines Europas der Monarchien entschieden haben, ein offenes und freies Land mit freien Bürgerinnen und Bürgern zu sein. Und das heisst anpacken, denn Wohlstand und Erfolg sind keine Selbstverständlichkeit. Weder für ein Land noch für einen Einzelnen. Vor dem Ernten kommt immer das Säen – und dazwischen die Arbeit im Feld. Das Schweizer Erfolgsmodell basiert auf Verantwortungsgefühl, Solidarität, Realitätssinn und der inneren Motivation, mit eigener Leistung Wohlstand zu schaffen und Gemeinsinn zu stiften – damit haben wir schon viele falsche Verlockungen und Abgründe gemeistert.

Stölzle /  Brányik
Autor/in
Marcel Baumgartner

Marcel Baumgartner (*1979) ist Co-Chefredaktor von «Die Ostschweiz».

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