Die jährliche Entzauberung der Frau geht immer weiter - mit tieferen Einblicken, als man sie sich wünscht.
Der endlos lange und heisse Sommer beschleunigt und verlängert die Nabelschau in der Stadt und selbst im Thurgau:
Es beteiligen sich alle weiblichen Wesen daran, egal ob hinschauenswert oder nicht. Es muss wohl am unerbittlichen, unverzichtbaren Druck der Mode liegen:
Sommer für Sommer, schon beim ersten verfügbaren wärmeren Sonnenstrahl, entblössen sich Massen von Frauen in einer Art und Weise, die an die Grenze zur Unmoral stösst.
Nabelfrei.
Oberschenkelfrei.
Voller Bauchspeck und trotzdem Hüften frei.
Hemmungslos werden auch Körperteile der öffentlichen Meinung präsentiert, die aus ästhetischen Gründen versteckt bleiben sollten. Ein Lob der arabischen Burka, die das Entscheidende verdeckt und nur dem Betrachter zugänglich macht, der das Zutrittsrecht hat, inklusive dem Risiko, dass alles anders aussieht, als Mann sich das vorstellt.
Von der europäischen Sommerfrau sind maximal zwölf Prozent bedeckt, der Rest ist eine hemmungslose Offenheit, die dem Betrachter, wenn er sich nicht schon vorher abgewendet hat, weil sein pragmatisch reduziertes Schönheitsideal einen näheren Blick verweigert, jegliche Möglichkeiten zu Fantasien nimmt. Was lustvoll auf- und abgedeckt werden könnte, und darin liegt die Kraft der Sexualität, ist schon seit dem Spätfrühjahr jedem sichtbar.
Wie schön war es, als die Frauen noch fraulich angezogen waren: Das zarte Berühren eines Knies mit der unausgesprochenen Erlaubnis, ein paar Zentimeter unter den Rock rutschen zu dürfen, beschleunigte den männlichen Herzschlag überdimensional.
Heute liegt alles platt und unerotisch wie beim Metzger in der Vitrine ausgestellt, jeder darf gucken, taxieren und die ausgestellte Ware begutachten. Nichts Geheimnisvolles mehr, nichts Anregendes mehr.
Was war ein erster dezenter Blick auf einen Nabel einst ein elementares Erbeben! Heute gilt die Massen-Nabelschau.
Was wurde früher unter männlichen Betrachtern gerätselt, welche Form und Größe ein Busen hat!
Heute hängen sie rum, minimalst verhüllt wie die Titelblätter von einschlägigen Magazinen am Kiosk.
Und selbst die allerletzte Meile, jahrhundertelang bis zum allerletzten Blick verteidigt, wird gerade noch mit der Winzigkeit eines 1. August-Fähnchens notdürftig verhüllt.
Wenn keine rückläufige Modeentwicklung eintritt, wird Europa noch schneller aussterben, denn halbwegs angezogene Frauen bewirken eine höhere Geburtenrate als beinahe nackte. Der Süden belegt es: Ein Türke hat statistisch dreimal mehr Kinder als ein Schweizer, ein Afrikaner sogar noch das Vielfache!
Wolf Buchinger (*1943) studierte an der Universität Saarbrücken Germanistik und Geografie. Er arbeitete 25 Jahre als Sekundarlehrer in St. Gallen und im Pestalozzidorf Trogen. Seit 1994 ist er als Coach und Kommunikationstrainer im Management tätig. Sein literarisches Werk umfasst Kurzgeschichten, Gedichte, Romane, Fachbücher und Theaterstücke. Er wohnt in Erlen (TG).
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