Navi, Navi über alles: Wir lassen uns elektronisch durch den Alltag leiten - bald wohl auch ins Klo.
Der Mensch macht sich immer mehr von der Technik abhängig. Noch vor kurzem konnte jeder einige Telefonnummern auswendig, heute genügt die Repeat-Taste oder der Anfangsbuchstabe der gesuchten Person.
Beim Autofahren sind die geheimen Orientierungszeichen wie Kirchtürme, Schornsteine, Coops und Bergspitzen nicht mehr nötig – heute schaut der moderne Mensch auf sein Navi. Er vertraut sich ihnen voll und ganz an, es hat etwas Göttliches an sich, weil man glaubt, dass es immer Recht hat, auch wenn im Gotthardtunnel das Kommando «bitte wenden» ertönt. Es wird gewendet, auch wenn jeder nachvollziehen könnte, dass nun kein GPS-Signal möglich sein kann und das Gerät wie ein Küken seine Mutter sucht.
Findige Japaner haben nun das Nonplusultra der technischen Steuerung des Menschen erfunden: das Home-Navi. Es beschränkt sich auf die eigenen vier Wände und die nächste Umgebung bis zum nächsten Kollegen im Auto, sodass voll kompatibel der Mensch durch das Leben gesteuert wird. Das Gerät wird am Handgelenk getragen und auch nachts nichts abgelegt. Hier einige Beispiele aus der Werbung:
Der Wecker schrillt. Das Navi: «25 cm nach links greifen und die weisse Stopptaste drücken.»
Sie müssen aufs WC: «2. Tür links, 3,45 m geradeaus, dann links. Vorsicht! Deckel ist noch geschlossen.»
Sie wollen frühstücken: «Kaffeemaschine 1. Tür rechts, seit gestern nicht entleert, also entleeren und ausspülen, dann Kapsel auswählen und vorne rechts einschieben, Einschalter seitlich links.»
Sie suchen den Autoschlüssel: «Zurück in den Flur, an der Garderobe 3. Kleidungsstück von rechts, linke Tasche.»
Sie wissen nicht, wann Sie im Betrieb sein müssen: «Sie sind jetzt schon 7 Minuten zu spät, das Meeting endet in 23 Minuten. Schreiben Sie ein Entschuldigungs-Mail, dass Sie den Autoschlüssel noch nicht gefunden haben. Laptop auf der Couch im Wohnzimmer, Achtung Batteriezustand zu schwach, muss zwingend ans Stromnetz, Steckdose 1,20 m links, hinter den leeren Bierflaschen.»
Nicht nur der räumliche Bedarf ist abgedeckt, auch zwischenmenschliche Bedürfnisse werden erkannt:
Sie müssen weinen, weil Ihr Fussballclub verloren hat: «Papiertaschentücher befinden sich neben Ihnen unter dem TV-Programm. Achtung! Es sind nur noch drei Stück vorhanden. Soll ich sie in die Einkaufsliste schreiben?»
Ihr Partner hat sexuelle Gelüste: «Sie sollten Ihren Partner anfragen, ob er in der Brunft ist. Kondome, Gleitcreme und Dildo in der rechten Nachttischschublade. Bitte auch dorthin wieder zurücklegen.»
An der guten Übersetzung wird noch gearbeitet, das Prinzip aber ist schon perfekt.
Wolf Buchinger (*1943) studierte an der Universität Saarbrücken Germanistik und Geografie. Er arbeitete 25 Jahre als Sekundarlehrer in St. Gallen und im Pestalozzidorf Trogen. Seit 1994 ist er als Coach und Kommunikationstrainer im Management tätig. Sein literarisches Werk umfasst Kurzgeschichten, Gedichte, Romane, Fachbücher und Theaterstücke. Er wohnt in Erlen (TG).
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