3000 Franken in 12 Minuten in die Luft jagen: Wer Feuerwerk abbrennt, leidet unter mangelndem Selbstbewusstsein.
Menschen, die am 1. August private Feuerwerke inszenieren, sind nach meinen unwissenschaftlichen, aber menschlichen Beobachtungen geprägt durch ein mangelndes Selbstbewusstsein und tanken mit diesen unnötigen Aktivitäten ein positiveres Dasein für mehrere Wochen.
Aus meinen Feldstudien habe ich die Familie A aus B ausgewählt: Der Vater (42), seit 20 Jahren Steuerbeamter, noch nie befördert, sorgt seit langem für diesen immer gleichen Ablauf: Der jüngste Bub zündet erst einmal 100 Frauenfürze (10 Fr.) und wird damit fürs Leben abhängig von Feuerwerken.
Dann dürfen die Kinder einfache Bengaltöpfe in ihren Lieblingsfarben abbrennen (60 Fr.), es folgen mehrere Atlasraketen (180 Fr.), ein paar Flower-Riesenvulkane (160 Fr.), das Baby will auch mal und darf eine Stinkbombe in Nachbars Vorgarten werfen.
Jetzt schreitet Papa ans Werk. Es ist still geworden, doch jetzt beginnt die Hölle im Quartier! Zum Anwärmen drei Monster-Premium Batterien, je 30 Schuss in 12 Sekunden (600 Fr.), es folgen drei Bombensets (300 Fr.), die alle Hunde und Katzen im Umkreis von einem Kilometer in die Schlafzimmer unter die Betten treibt, und schliesslich der krönende Abschluss mit vier parallel gezündeten Feuerwerksbatterien (1600 Fr.), deren sekundengenaues Anzünden alle Familienmitglieder wochenlang miteinander verbindet.
Das Quartier steht für 22 Sekunden in Flammen und sieht aus, als wäre der syrische Bürgerkrieg zu Gast. Alle sind glücklich, das Baby weint, Mutti zündet auf dem Festtisch mit dem Fendant und den heissen Wienerli noch schnell ein paar blutrote Vulkane «Jungfrau» an (65 Fr.), man geniesst die lauten Beschwerden der Nachbarn und ist in einer seltenen gemeinsamen Hochstimmung.
3000 Franken, in 12 Minuten in die Luft gejagt, sind doch ein gerechter Preis für ein explosives Vergnügen für Menschen mit zu niedrigem Selbstwertgefühl.
Wolf Buchinger (*1943) studierte an der Universität Saarbrücken Germanistik und Geografie. Er arbeitete 25 Jahre als Sekundarlehrer in St. Gallen und im Pestalozzidorf Trogen. Seit 1994 ist er als Coach und Kommunikationstrainer im Management tätig. Sein literarisches Werk umfasst Kurzgeschichten, Gedichte, Romane, Fachbücher und Theaterstücke. Er wohnt in Erlen (TG).
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