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Hoffnungsträgerinnen und -träger im Gespräch

«Für die 99%, die keine Multimillionäre an der Zürcher Goldküste sind»

Welche Kräfte werden die verschiedenen Parteien der Region schon bald prägen? In einzelnen Interviews stellen wir die Hoffnungsträgerinnen und -träger vor. Heute: Joel Müller (*1996), SP-Politiker aus Wattwil.

Marcel Baumgartner am 26. Juli 2022
  • Zivilstand: ledig

  • Ausbildung/Beruf: Restaurationsfachmann EFZ, Sozialarbeiter FH – derzeit Master in Erziehungswissenschaft Uni Zürich

  • Partei und Funktion: Vizepräsident SP Kanton St. Gallen, erster Ersatz für den Kantonsrat im Wahlkreis Toggenburg

  • In der Partei seit: In der SP seit 2019, in der JUSO seit 2013

  • Hobbies: Volleyball, Fussball, Surfen, Kochen, Bachwanderungen

Hätten Sie schon immer eine Nähe zu der Partei, in der sich heute aktiv sind? Oder standen Sie dereinst auf einer anderen Seite?

Ich bin im ländlichen Toggenburg tatsächlich eher SVP/CVP-nah aufgewachsen, insbesondere auch rund um die EU-Debatte. Jedoch habe ich bereits in der Oberstufe festgestellt, dass es die linken Parteien sind, welche sich für die Interessen der breiten Bevölkerung einsetzen und die Ungerechtigkeiten dieser Welt bekämpfen. Dies hat mich früh zur JUSO geführt. Im Laufe der Zeit bin ich dann immer mehr in die SP «hineingewachsen» wo ich mein politisches zuhause gefunden habe.

Gab es einen bestimmten Auslöser, der bei Ihnen das Interesse für die Politik geweckt hat? Was war die Motivation, sich in einer Partei zu engagieren?

Der Auslöser effektiv in einer Partei aktiv zu werden war für mich die 1:12 Initiative der JUSO. Es ist doch absurd, dass ein Mensch im gleichen Unternehmen mehr als das 12-fache des tiefsten Lohns verdienen soll. Da ich Ungerechtigkeiten noch nie leiden konnte, war das für mich der Moment in dem ich beschloss: «Das will ich verändern».

Wenn Sie Ihre Partei mit einer Schulnote bewerten müssten, wie würde die Benotung ausfallen?

Ich würde der SP eine 5.5 geben. Die SP ist DIE staatstragende Partei die für eine konstruktive Politik in der Schweiz sorgt. Um nur einige der jüngeren Errungenschaften der SP aufzuzählen: Überbrückungsrente für über 60 Jährige, Kaufkraftpaket mit tieferen Krankenkassenprämien für alle, einen Anstieg der Renten entsprechend der Inflation, ein griffiger Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative für mehr Klimaschutz. Auch kantonal haben wir wichtige Projekte, so haben wir mit dem Referendum zum Spital Wattwil den Weg bereitet für die jetzige Lösung mit der Beritklinik und mit der kantonalen Klimafondsinitiative haben wir die richtige Antwort auf die Klima- und Energiekrise und wir sorgen mit unserer Bildungspolitik für den Erhalt der verschiedenen Schulstandorte, beispielsweise der Kantonsschule in Wattwil.

Was benötigt es, damit diese Bewertung dereinst noch besser ausfällt?

Keine 6 gibt es für die SP, weil es uns immer noch zu wenig gelingt, bei den Menschen als die Partei wahrgenommen zu werden, die wir sind: Die Partei für die Arbeiterinnen und Arbeiter in diesem Land, für die 99%,  die keine Multimillionäre an der Zürcher Goldküste sind.

Was sind Ihre persönlich wichtigsten Kernanliegen? Wofür möchten Sie sich einsetzen?

Im Zentrum meiner politischen Arbeit steht die soziale Gerechtigkeit – also dass die Schere zwischen arm und reich nicht mehr weiter aufgeht, sondern endlich reduziert wird. Dafür brauchen wir höhere Löhne und Renten, bzw. tiefere Krankenkassenprämien für wenig- und normalverdienende, für Familien – für die Arbeiterinnen und Arbeiter. Und im Gegenzug brauchen wir höhere Steuern auf die Vermögen und Erbschaften der Reichsten. Ich halte das für zentral für eine funktionierende Gesellschaft. Das zweite ist die Klima- und Biodiversitätskrise: Hier brauchen wir mehr Tempo um wegzukommen von fossilen Brennstoffen hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft und wir müssen unsere Lebensgrundlagen schützen: Also die Pflanzenvielfalt, die Insekten, die Naturgebiete, etc.

Zuletzt bin ich überzeugter Feminist. Das dies notwendig ist zeigt nicht nur der Angriff auf das Recht auf Abtreibung in den USA, sondern auch die weiterhin vorhandene Lohnungleichheit bei gleicher Arbeit zwischen den Geschlechtern. Selbstverständlich setze ich mich als schwuler Mann zudem für die Rechte der LGBTQ-Community ein. Weitere Positionen sind auf meiner Website joel-mueller.ch/positionen zu finden.

Welche politischen Ambitionen haben Sie? In welcher Funktion würden Sie dereinst gerne aktiv sein?

Mir ist es wichtig politische Veränderungen für eine bessere Welt zu erreichen. Ob das als Aktivist auf der Strasse oder in einem Amt ist spielt für mich keine Rolle. Sollte mich die Bevölkerung in ein Amt wählen, bin ich aber gerne bereit diese Verantwortung zu übernehmen.

Kommt es vor – ob im politischen Umfeld oder auch privat –, dass Sie eine extreme Position einnehmen, weil Sie Freude an der Debatte haben?

Nein, ich lehne extreme Positionen entschieden ab, da ich überzeugter Demokrat bin und an die Wichtigkeit von guten Diskussionen glaube. In einer perfekten Welt würden nicht Wahlbudgets über den Ausgang von Abstimmungen entscheiden, sondern die besseren Argumente. Das muss das Ziel sein einer Demokratie, weshalb ich mich auch für mehr Transparenz in der Politik-Finanzierung einsetze.

Wie fühlen Sie sich, wenn Sie merken, dass Sie falsch liegen?

Die eigene Meinung zu verändern gehört dazu, manchmal verändert sich eine Situation oder es gibt bessere Argumente, da spricht nichts dagegen. Aus dem Präsidium der SP Kanton St. Gallen bin ich es mir gewohnt im Kollegialitätsprinzip Entscheidungen der Mehrheit zu vertreten oder auch mal meine Meinung zu verändern.

Stichwort «Diversität»: Gibt es einen Film, den Sie mögen, obwohl er bei dieser Thematik gegen einige Grundsätze verstösst?

Da fällt mir keinen ein. Aber ich mag mehrere Filme oder Serien, die sehr «divers» sind. Beispielsweise die Schweizer Produktion «Mario» - ein Spielfilm über einen schwulen Profifussballer und seine Coming-out oder die Netflix-Serie Young Royals. Insgesamt bin ich aber lieber draussen in der Natur als vor dem Fernseher. Wenn schon TV, dann am liebsten ein FC St. Gallen Match.

Möchten Sie eine neue Bekanntschaft in erster Linie von Ihren Qualitäten oder von Ihrer politischen Stossrichtung überzeugen?

Auf jeden Fall von der Qualität der Beziehung! Ich habe auch Freundschaften zu Personen, die in der SVP sind, was auch mal zu hitzigen Diskussionen führen kann. Solange der Umgang untereinander respektvoll ist und keine extremen Positionen vertreten werden, empfinde ich das als bereichernd.

Gibt es in der jüngsten Vergangenheit der Schweiz einen politischen Meilenstein, der Ihnen so gar nicht in den Kram passt?

Die Ablehnung des CO2 Gesetzes war für mich ein absoluter Tiefpunkt. Die Dringlichkeit der Klimakrise ist so sichtbar – schauen Sie sich nur die immer wiederkehrenden Hitzewellen und Trockenperioden in der Schweiz und der Welt an. Trotzdem schaffen wir es in einem so wohlhabenden Land wie der Schweiz nicht, einen wirklich gemässigten Schritt in die richtige Richtung zu machen. Das gab mir schon zu denken. Ich bin froh, dass wir mit der kantonalen SP-Klimainitiative schnell reagieren konnten und setze nun meine Hoffnungen in dieses Projekt.

Welche drei Punkte stehen aktuell ganz oben auf Ihrer politischen Pendenzenliste?

Das wiederholt sich jetzt möglicherweise ein wenig, aber für mich sind die drei drängendsten Punkte ganz klar die Klimakrise, die Einkommens- und Vermögensungleichheit und die Gleichstellung aller Geschlechter.

Und welche drei Punkte stehen auf der privaten Liste?

Eine gute Frage! Ich bin nicht der Typ, der sich einen 5-Jahresplan macht. Aber der Abschluss meines Masters in Erziehungswissenschaft an der Universität Zürich ist sicher ein Ziel. Ansonsten möchte ich gesund bleiben und die kleinen Dinge im Leben schätzen.

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Autor/in
Marcel Baumgartner

Marcel Baumgartner (*1979) ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz».

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